Terrorwarnstufen

Terrorwarnstufen sind ein nach-modernes decorum. Das Homeland Security Advisory System („5 Codes“) des amerikanischen Heimatschutzministeriums beschreibt den Grad der Terrorbedrohung mit Hilfe der fünfstufigen Skala „red, orange, yellow, blue. green“. Es enthält die beiden Pole „red“ = Ausnahmezustand und „green“ = totale Entspannung. Dabei entsprechen die Pole „red / green“ der decorum-Skala „erhaben / niedrig“.

Während der zweieinhalb Jahrtausende dauernden Epoche der Vormoderne wurde die Innenkommunikation der westlichen Kultur durch Regeln gesteuert, die bei den Griechen prepon und bei den Römern decorum hiessen. Kultur und Militärstrategie sind zwei Seiten derselben Medaille; sie sind insofern miteinander verschränkt, als Kultur die Organisation des Innenverhaltens und Strategie die Organisation des Aussenverhaltens einer Population darstellt. Aussenstrategie und Innenkommmunikation waren während der Vormoderne verschränkt durch das decorum. Das decorum lässt sich hierbei als Manifestation der Relaxationsphase begreifen, die auf den Kriegsstress folgt: Dem Feldherrn, der seine Population in den Sieg führte, wird entlang der via regia ein Triumphzug bereitet. Die Insignien des Kriegserfolges – Lorbeerblätter, Säulenschmuck etc. – erfahren über kurz oder lang einen Stoffwechsel und werden zu steinernem Schmuck. Ein Kodifizierungssystem bildete das decorum insofern, als es die beiden Pole „erhaben“ und „niedrig“ entwickelte: „Erhabener Inhalt ist alles Verhalten, das sich auf Krieg, Ehre, altruistische Todesbereitschaft und strategische Gefahr bezieht.“ Je wichtiger die Bauaufgabe (Tempel...), desto mehr galt es, den Kriegserfolg durch reichhaltigen Schmuck zu kommunizieren; je unwichtiger die Bauaufgabe (Handwerker-Wohnhaus...), desto irrelevanter war die poststressale Kriegsanspielung des decorum.

Die decorum-Regeleinstellung ist im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts zusammen gebrochen. Warum?
Dies kann mit dem Verhältnis von Kultur und Krieg, von architectura civilis und architectura militaris erklärt werden. Zwar wird bereits im Laufe des 16. Jahrhunderts das Festungsbauwesen zunehmend zu einem Sonderfach; zwar lassen sich seit dem frühen 17. Jahrhundert Unterschiede zwischen dem Architekten und dem Ingenieur feststellen; doch noch bis ins 18. Jahrhundert hinein wurden „beide Architekturen“ meist von einem Baumeister und Ingenieur in Personalunion verantwortet. Erst danach sollten sich die Sphären des Militärs und der Kultur voneinander trennen. Stehende Heere lösten die bis dahin übliche Praxis ab, Armeen bei Bedarf auszuheben. Die Fronten rückten in weite Ferne. Im pazifizierten Innenraum der westlichen Welt konnte sich eine ästhetische Kultur durchsetzen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts manifestierten sich die globalen kolonialistischen Konsequenzen dieses Prozesses, und „die westliche Kultur trat in die Phase der losgelösten Werte und illusionären Träume ein.“ Sie wurde zu erfolgreich. Das vormoderne decorum war der eingestandene Krieg, in der Moderne bleibt der Krieg uneingestanden. Entlegener Heroismus generiert kein decorum: „Das Gesicht der kulturellen Macht, die diese Hybris ermöglicht, ist nicht das Gesicht des triumphierenden Kriegers, sondern das Gesicht des unschuldigen Künstlers und Philosophen. Die Kultur, die alles unterworfen hat, ist in ihrem Inneren unschuldig und ahnungslos.“

Mit dem 21. Jahrhundert scheint die Ära der Staatenkriege endgültig zu Ende gegangen. Die Clausewitzsche Definition von Krieg als einem symmetrischem Kampf auf offenem Feld ist nicht mehr zeitgemäß. Der Alltag – vor allem der städtische – transformiert sich mehr und mehr zu einem potenziellen Schauplatz asymmetrischer Kriegsführung. Der Ausnahmezustandes konnte sich als herrschendes Paradigma des Regierens durchsetzen, und im Zuge dessen sind die Grenzen zwischen Militär und Polizei fliessend geworden. Es stellt sich die Frage, zu welchen Regeleinstellungen die Pervasivität des Krieges führen wird, die weder das Innere noch das Äußere als Sicherheitsraum ausweisen kann.

Anzunehmen ist, dass pervasive Stressoren pervasive Schutzräume erzeugen. Es kann sich hierbei nur um Fluchtwege, nicht um Fluchtpunkte handeln. Eine Blaupause, eine Grün-Blau-Gelb-Orange-Rotpause für eine Fluchtwegkodifizierung liegt seit 2002 vor: die Terrorwarnstufen des US-Department of Homeland Security (DHS), genannt „5 Codes“. Wenngleich ihre Farbfolge nicht der aufsteigenden Wellenlänge der Spektralfarben entspricht (Blau kommt vor Grün), so ist das Motiv des Regenbogens von der US-Regierung dennoch klug gewählt, trug doch der rainbow warrior Isaac Newton mit seiner Prismen-Zerlegung des „weissen göttlichen Lichts“ wesentlich zum Heraufdämmern des Risiko-Zeitalters bei.

© Stephan Trüby

Heiner Mühlmann, Die Natur der Kulturen – Entwurf einer kulturgenetischen Theorie, Wien / New York 1996.
Heiner Mühlmann: „Die Ökologie der Kulturen“ (http://www2.uniwuppertal.de/FB5/muehlmann/muehl_oekologie.html).
Hartwig Neumann: Festungsbaukunst und Festungsbautechnik. Deutsche Wehrbauarchitektur vom XV. bis XX. Jahrhundert, Koblenz 1988, S. 142.
Heiner Mühlmann: Die Natur der Kulturen, a.a.O., S. 123.
A.a.O., S. 130.
Vgl. Giorgio Agamben: Ausnahmezustand (Homo sacer II.I), Frankfurt / M. 2004.
Vgl. Heiner Mühlmann: „MSC: Maximal Stress Cooperation – Die Antriebskraft der Kulturen“, Wien / New York 2005.