Manuscript: Thanato Politik

Ich möchte den Veranstaltern für die Einladung danken, den heutigen Diskussionsrahmen zu liefern. Ich sehe die Aufgabe dieses Vortrags darin, eine Beziehung zwischen der Wörterbuch-Veranstaltung des letzten Monats und der heutigen herzustellen und den Weg aufzuzeigen, auf dem die Begriffe weiter vorangetrieben und entwickelt werden können. Allerdings zwingen uns die Nachrichten über die Ereignisse und die Situation, mit der wir gerade jetzt konfrontiert sind – Israels Krieg mit der Hisbollah und in Gaza, – in dieser Veranstaltung oder zumindest in dieser Rede gezielter vorzugehen.

Das vorige Treffen in Frankfurt war wichtig wegen der Herstellung einer Verbindung zwischen einem möglichen kritischen Engagement und einem tieferen Begriff des Krieges. Ich meine, dass die kritische Diskussion der Linken sich ansonsten zu oft mit dem Protest gegen die sichtbaren Konsequenzen des Krieges, den Folgen von Gewalt beschäftigt hat, statt mit der ganzen Komplexität des militärischen Denkens und der militärischen Praxis, den komplexen Beziehungen zwischen Politik und Krieg. Es ist eigenartig, dass die kritische Diskussion der Linken jahrelang damit beschäftigt war, die verschiedenen Strukturen des Kapitalismus auf eine Weise zu analysieren, die die Anti-Kriegs-Debatte für die Analyse der Zerstörungsmechanismen nicht immer zu übernehmen bereit war. Aber wenn wir uns nur auf das Endresultat der Kampfmaßnahmen stützen, ohne sie interpretieren zu können, ohne das militärische Denken und den militärischen Mechanismus zu begreifen, das Militär selber als komplexe Institution mit verschiedenen institutionellen Konflikten und Bruchstellen, und die Guerilla als komplexe Institution und ihre Beziehung zur Politik und zu den Medien, dann werden wir selbst zu Opfern der mächtigsten Waffe im Arsenal des Krieges, seinem vereinfachten Aufruf zum Handeln, zum Opfer der Bilder, die wir konsumieren.

Zwei Szenen zum Beginn meiner Überlegungen zu den aktuellen Ereignissen in Gaza und im Libanon: Der Vater des entführten israelischen Soldaten, Gilad Shalit, der jetzt in Gaza gefangen gehalten wird, hat die israelische Politik der einseitigen Evakuierungen und der Verschanzung hinter scheinbar unüberwindbaren Mauern mit einfachen architektonischen Begriffen kritisiert: „Wo auch immer es eine Mauer gibt, wird es einen Tunnel geben.“ Damit meinte er, dass das Bauen einer Mauer – das Einmauern der „Feinde“ – notwendigerweise zu allen möglichen Versuchen führen würde, die Mauer zu überwinden. In diesem Sinn hat der Bau der Mauer um Gaza und das Westjordanland dazu geführt, dass Sprengstoff durch unterirdische Tunnel in das Gebiet hineingebracht und durch improvisierte Raketen durch die Luft wieder hinausbefördert wurde, wodurch die Ausschließungssysteme am Boden umgangen wurden. Der 650 Meter lange Tunnel, der unter den Gaza umgebenden Zäunen gegraben wurde und der erstaunlich dicht unter dem bombardierten palästinensischen „Internationalen Flughafen“ von Dahania entlangführt, ermöglichte es den palästinensischen Guerillas, dicht bei den Stellungen der israelischen Armee aufzutauchen und mit dem entführten israelischen Soldaten nach Gaza zurückzukehren. Die palästinensischen Kämpfer haben also mit ein paar Schaufeln, Eimern und einigen hundert Arbeitsstunden das drei Milliarden Dollar teure Phantasma der „hermetischen Einfriedung“ als ziemlich durchlässig gezeigt. Auf die vertikale Achse übertragen: Je effizienter die Zerstörungskraft der israelischen Luftwaffe wurde, desto tiefer zog sich der Widerstand unter die Erde zurück. Dieser Umstand bestätigt die letzte Symmetrie des asymmetrischen Konflikts: Die absolute Kontrolle über den Boden und den Luftraum spiegelt sich (wie das amerikanische Militär in Vietnam und die Sowjets in Afghanistan schmerzhaft erfuhren) in der Beherrschung der unterirdischen Kriegsführung durch den Feind.

In einem der Videos, die Nasrallah in den ersten Tagen des Krieges ausstrahlte, fragte er rhetorisch: „Wollt Ihr den totalen Krieg? Wenn ja, sind wir bereit.“ Ich weiß nicht, ob Nasrallah damit auf die berühmte Rede von Goebbels anspielen wollte, in der er brüllte: “Wollt Ihr den totalen Krieg?“, aber ehe wir fortfahren, müssen wir diesen Grenzbegriff des Krieges zu verstehen versuchen. Was ist ein totaler Krieg? Historisch gesehen bezieht sich der totale Krieg auf die totale gesellschaftliche und ökonomische Mobilisierung aller verfügbaren Ressourcen, die Mobilmachung – „levée en masse“, ein totaler nationaler Kraftaufwand, der die Fähigkeit einer anderen Nation zur Kriegführung zerstören soll. Aber jenseits dieser Bedeutung als totaler Mobilisierung der Gesellschaft sind „totale Kriege“ auch solche, die keine Kommunikation zwischen den Feinden mehr zulassen. Kolonialkriege waren oft totale Kriege, weil die „Eingeborenen“ in der Wahrnehmung der Kolonisten nicht zu derselben „Menschheit“ gehörten wie sie und daher nicht als Gegenüber betrachtet werden konnten, das zu rationalem Diskurs und Verhalten fähig war. Totale Kriege werden geführt, um die bloße Möglichkeit des Diskurses zu attackieren. Kriege werden durch Abstufung und Unterscheidungen weniger total. Wenn der totale Krieg keine Sprache hat, dann bedeutet das, dass jeder andere Krieg eine sprachliche Komponente hat – die Semiotik der Gewalt. Und ich halte es für wichtig, noch bei diesem Thema zu bleiben und darüber nachzudenken.

Jeder andere Krieg ist auch ein Diskurs zwischen den Gegnern. Es ist ein Diskurs zwischen den beiden Gegnern und heute zunehmend auch mit ihrem internationalen Publikum. Es ist ein erschreckender Diskurs, der durch die Medien vergrößert wird. Die sprachliche Komponente des Krieges existiert in der Lücke zwischen dem Grad an Zerstörung, der möglich ist, und dem Grad an Zerstörung, der in der jeweils gegebenen Situation tatsächlich stattfindet. In der Lücke zwischen dem, was man jemandem antun kann und dem, was man tatsächlich tut, können Sprache und Dialog sich ansiedeln. Natürlich sind Drohungen der einfachste Diskurs, der sich auf dem Schlachtfeld mitteilen und verstehen lässt. Drohungen können nur durch eine bestimmte, vergleichende Anwendung von Gewalt wirken. Ich kann dir dies jetzt antun. Es ist unglaublich schrecklich, aber ich könnte dir noch etwas Schlimmeres antun. Militärische Drohungen können nur funktionieren, wenn zwischen den möglichen Zerstörungen, die eine Armee durch den Einsatz ihrer vollen Kapazität anrichten kann, und denen, die sie tatsächlich anrichtet, Lücken bestehen. Ein Grad von Zurückhaltung ist also Teil der Logik fast jeder konventionellen Militäroperation: Wie schlimm auch immer militärische Angriffe erscheinen, sie könnten immer schlimmer werden. Jede Eskalation oder Radikalisierung des Krieges versucht immer, ein Potential zu bewahren, es schlimmer zu machen als es ist. Jede Eskalation kann als Sprache nur wirken, wenn man den Krieg weiter eskalieren könnte. In dem Moment, in dem sich die Lücke zwischen der möglichen und der tatsächlichen Gewaltanwendung schließt, ist der Krieg nicht länger eine Sprache, die Gewalt wird von der Semiotik gelöst und zielt nur noch darauf ab, den Feind als Subjekt zum Verschwinden zu bringen.

Wie schon erwähnt, waren die Kolonialkriege oft totale Kriege. Ein anderes Beispiel für einen totalen Krieg, bei dem es keine „Grade“, keine Steigerung der Eskalation gibt, ist der Nuklearkrieg. Das ist der Grund, weshalb die intellektuelle Beschäftigung mit den Nuklearkriegen, die Spieltheorie, sie vor allem zu verhindern und aus dem (politischen oder militärischen) Konflikt herauszuhalten versuchte. Ihre Sprache war das Signalisieren, die Drohung, der Bluff, der Doppel-Bluff und der Gegen-Bluff.

Attentate aus der Luft

Eine der wichtigsten Varianten von Gewaltanwendung, bei der diese Art des Diskurses stattfindet, ist das gezielte Attentat und seine Interaktion mit der Politik. Während der Jahre der zweiten Intifada waren die Israelis bemüht, eine Taktik für Attentate aus der Luft zu entwickeln. Von einer „seltenen und außergewöhnlichen Notfallmaßnahme“ ist es während der zweiten Intifada zur wichtigsten Angriffsmethode der Luftwaffe auf den Gazastreifen geworden. Man kann dieses Verfahren als Thanato-Politik bezeichnen. Ich möchte einen kurzen Umweg durch diese Formen staatlicher Attentate machen, um die Abstufungen der Kommunikation und der Berechnungen zu zeigen, die die Gewalt hervorbringen kann. Wie kreuzen sich Attentate mit politischen Überlegungen und Berechnungen? Auf welche Weise versuchen sie die Struktur der palästinensischen Politik zu beeinflussen? Jenseits der Vorstellung von gezielten Attentaten als direkte, präventive Antwort auf den Terror verstanden die israelischen Sicherheitsorgane das Attentat als zentralen Bestandteil eines politischen „Projekts“ und als Versuch, ein gewisses Maß an Kontrolle über die palästinensische Politik und die Bevölkerung insgesamt zu gewinnen. Achille Mbembes Aufsatz „Necropolitics“ folgend, kann man sagen, dass eine neue Beziehung zwischen Politik und Tod entstanden ist, in der Territorien durch Körper ersetzt wurden – oder der Raum durch den Tod – ,wodurch die Körper in das Rohmaterial der Souveränität verwandelt wurden.

Der operative Aspekt der Attentate aus der Luft beruht auf militärischen Entwicklungen, die auf den israelischen Krieg im Libanon während der 1980er und 1990er Jahre zurückgehen. Im Februar 1992 war der Generalsekretär der Hisbollah, Scheich Abbas Mussawi, der erste, der bei einem Attentat aus der Luft getötet wurde, als eine Gruppe von israelischen Hubschraubern, die vom Mittelmeer Richtung Inland flog, seinen Konvoi angriff und ihn und seine Familie tötete.

Die Einheit „operative Analyse“ ist Teil der „operativen Gruppe“ der israelischen Luftwaffe und verantwortlich für die Planung und Optimierung von Bombenangriffen. Es gibt drei Ebenen, nach denen das Bombardieren der Luftwaffe geplant und durchgeführt wird: mechanisch, systemisch und politisch. Auf der mechanischen Ebene befasst sich die Planung mit der Abstimmung von Munition und Ziel, wobei berechnet wird, welche Größe und welcher Bombentyp notwendig ist, um ein bestimmtes Ziel zu zerstören; welche Menge Sprengstoff erforderlich ist, um Gebäude (unterschiedlicher Größe), Tunnel oder Bunker zu zerstören. Zur mechanischen Ebene gehören Berechnungen von Bauingenieuren und Sprengstoffexperten, die die Struktur des Ziels und seine Bauqualität einschätzen. Militärexperten können dann mit Computerprogrammen die Munition, den Angriffwinkel und die Tageszeit festlegen, durch die die Zerstörung des Ziels bei einem Minimum an Waffen, Zerstörung und Tod von Unbeteiligten garantiert wird. Die mechanische Ebene bei Attentaten aus der Luft befasst sich auch mit der Entwicklung des Sprengkopfes, dem Sprengstoff, der dafür verwendet wird, und seiner Zielgenauigkeit. Der Sprengkopf und andere technologische Innovationen der Bomben, die darauf abzielen, das Töten effizienter und „zivilisierter“ zu machen, ermöglichen - wie die Klinge der Guillotine – einen schnellen und häufigen Einsatz.

Die zweite Ebene der Planung ist systemisch. Die Funktion der Einheit der „operativen Analyse“ geht über die Planung der physischen Zerstörung hinaus. Sie versucht, die Auswirkungen der Zerstörung eines bestimmten Ziels auf das Gesamtsystem der Operationen des Feindes zu planen und vorherzusagen. Den Prinzipien der „Systemanalyse“ folgend, wird der Feind als operatives Netzwerk von zusammenwirkenden Elementen verstanden. Nach den Theorien der Luftwaffe sind Städte, Gesellschaften und politische Regime verwundbare Ziele, weil sie sich auf ein infrastrukturelles Netzwerk stützen, das lebenserhaltend ist. Das Töten von Mitgliedern palästinensischer Organisationen wird im Verhältnis zu dem System betrachtet, dem sie dienen. Anders als bei staatlichen Militärkräften, deren Macht zum großen Teil auf der materiellen Infrastruktur und Ausrüstung beruht, besteht die Infrastruktur des palästinensischen Widerstands aus den Menschen selber. Die Effektivität des palästinensischen Widerstands beruht auf seinen Mitgliedern und der Funktionsfähigkeit ihrer Beziehungen: Politische und geistige Führer, Pressesprecher, Geldgeber, Befehlshaber, erfahrene Kämpfer, Bombenbauer und Anwerber. Das Töten einer Schlüsselperson wird ähnlich wahrgenommen wie die Zerstörung einer Kommando- und Kontrollzentrale oder einer strategisch wichtigen Brücke. Beide sollen ein „Systemversagen“ auslösen, das das feindliche System sprengt und für weitere Militärschläge anfälliger macht. Dem Militär zufolge wird ein „operativer Schock“ am besten erreicht, wenn der Rhythmus dieser Operationen schnell ist und dem feindlichen System zwischen den Angriffen keine Zeit zur Erholung gegeben wird.

Die dritte Planungsebene ist politisch. Die Bombardierung aus der Luft hat seit Beginn der Luftstreitkräfte zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg eine politische Dimension gehabt. In seinem Buch „Dominio dell’Aria“ (Die Beherrschung der Luft) erkannte der Italiener Giulio Douhet die Wirkung des Bombardierens auf die Moral des Militärs und der Bevölkerung. Die Luftmacht konnte durch die Zerstörung der „Lebenszentren“ eines Landes den Willen eines Volkes brechen. Douhet benannte sechs Hauptziele: Industrie, Transport, Infrastruktur, Kommunikation, Regierung und „den Willen des Volkes“. Die ersten vier Ziele beziehen sich auf die militärisch-systemische Logik, während die beiden letzten als politisch-psychologisch bezeichnet werden können. Die politische Wirkung von gezielten Bombardements besteht darin, die gegnerische Führung zu einer Kapitulation zu den Bedingungen des Angreifers zu zwingen. Douhet machte deutlich, dass der Luftkrieg notwendig war, um Angst und Leid der Zivilbevölkerung zu erzeugen und dadurch politische Ziele zu erreichen, und dass der Luftkrieg unter diesen Voraussetzungen alsTerrorkrieg bezeichnet werden konnte.

Angesichts der politischen Rationalität des gezielten Bombardements, konnte die Tötung von unbeteiligten Zivilisten, die vom Militär als „Kollateralschaden“ bezeichnet wird, nicht mehr nur als Nebenprodukt der Absicht betrachtet werden, militärische Ziele zu treffen, sondern vielmehr als das eigentliche Ziel des Bombardements. „Radikale“ Palästinenserführer konnten demnach getötet werden, um den Weg für eine „pragmatischere“ Politik freizumachen. „Pragmatische“ Führer konnten getötet werden, um den Weg für eine direkte Konfrontation zu eröffnen oder einen diplomatischen Vorstoß abzuwehren. Andere Attentate konnten verübt werden, um die „Ordnung wiederherzustellen“, wieder andere, um Chaos zu erzeugen; manche Anschläge wurden nur deshalb verübt, weil es möglich war, sie zu verüben, weil schon zuviel Geld in die Menschenjagd investiert worden war, weil die Sicherheitskräfte den Nervenkitzel genossen, weil sie ausländische Beobachter beeindrucken wollten, weil sie neue technologische Entwicklungen ausprobieren oder in Form bleiben wollten. Es sind dieselben Leute, die Mitglieder derselben Organisationen, die für diese Operationen trainieren, dieselben Agenten und Offiziere, die erfolgreiche Tötungsaktionen in ihrem Curriculum brauchen, um befördert zu werden, die auch die Aufgabe haben, deren Auswirkungen zu beurteilen und aufgrund ihrer eigenen Bewertungen von der Regierung die Bewilligung weiterer Attentate verlangen. Tatsächlich sind die Tötungen von niemand anderem als ihren Scharfrichtern kontrolliert worden.

In diesem Zusammenhang berufen sich die operativen Planer der israelischen Streitkräfte auf die Prinzipien der Spieltheorie – ein Zweig der angewandten Mathematik, der zur Schaffung von Werkzeugen konzipiert wurde, um Milieus zu modellieren, in denen verschiedene rationale Spieler interagieren. Die Spieltheorie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Thomas C. Schelling und anderen in der Denkfabrik RAND Corporation der amerikanischen Luftwaffe als strategische Logik entwickelt, um alternative Nuklearstrategien zu evaluieren, die später benutzt wurde, um den Vietnamkrieg zu „managen“. Die Spieltheorie wurde zuerst in Vietnam erprobt, wo McNamaras „wiz kids“ sich Gewalt als eine Art Diskurs zwischen Gegnern vorstellten, oder vielmehr als eine schrittweise Eskalation. Sie sollten einschätzen, wie viele Bomben auf Vietnam und Kambodscha abgeworfen werden mussten, um zum Ausdruck zu bringen, dass man sich in einem Prozess der Eskalation befand, der gestoppt werden konnte. Das Scheitern dieses Denkens resultierte daraus, dass die Amerikaner dachten, sie befänden sich mit jemandem in einem Diskurs, der aber tatsächlich schon die bloßen Bedingungen eines Diskurses mit ihnen nicht akzeptierte.
Im Kontext einer Situation mit geringer Intensität wird die „Spieltheorie“ genutzt, um das Verhalten der Guerilla- und Terrororganisationen, der sie unterstützenden Regierungen sowie der internationalen Gemeinschaft modellhaft abzubilden. Ihr Einfluss auf die militärische Strategie Israels beruht auf der Tatsache, dass die Mathematische Fakultät der Hebräischen Universität Jerusalem sich seit den 1960er Jahren zu einem der weltweit führenden Zentren für Spieltheorie entwickelt hat. Im Jahr 2005 erhielten Robert Aumann und Thomas C. Schelling gemeinsam den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften in Anerkennung ihrer Beiträge zur Spieltheorie. Die Spieltheorie und andere Formen auf Simulation beruhender Taktiken wurden im Umkreis der Israelischen Streitkräfte mit dem „intelligenten“ und disaströsen Führungsstil von Ehud Barak in Verbindung gebracht. Als Oberbefehlshaber und Generalstabschef der Israelischen Streitkräfte experimentierte er mit der politisch manipulativen Dimension der militärischen Gewalt ganz allgemein, aber besonders mit Bombardierungen durch die Luftwaffe. Als Premierminister versuchte Barak in Camp David ein Abkommen mit den Palästinensern zu schließen, scheiterte aber an seiner Verhandlungsführung, die sich auf die Prinzipien der Spieltheorie stützte.

Ein großer Teil der Sicherheitslogik Israels, die auf Attentate setzt, hängt mit der Vorliebe der Sicherheitsdienste des Landes für Charakteranalysen zusammen. Der israelische Soziologe Gil Eyal hat gezeigt, dass die israelischen Geheimdienste, einer langen östlichen Tradition folgend, die Motive für politische Entwicklungen und Terroranschläge nicht als Reaktion auf eine Geschichte der Repression oder in der Verfolgung rationaler politischer Ziele sahen, sondern eher in den persönlichen Irrationalitäten, Idiosynkrasien oder Widersprüchlichkeiten der arabischen Führung. Wenn politische und ökonomische Analysen vorgenommen wurden, bildeten sie nur den Rahmen für die Arbeit an den psychologischen Profilen. Die natürliche Konsequenz dieser Logik war die Überzeugung, dass die israelischen Geheimdienste mit ihren Attentaten nicht nur einen Anführer beseitigten, sondern auch die Ursache eines politischen Problems und Sicherheitsrisikos. Obwohl großer Aufwand betrieben wurde, um das Profil des Gegners zu zeichnen und die Geheimdienste von ihren Methoden überzeugt sind, ist es nach Jahren gezielter Attentate nicht gelungen, die Gewalt einzudämmen oder die Bereitschaft der Palästinenser zum Widerstand zu schwächen. Es ist auch nicht gelungen, die Position von Präsident Mahmud Abbas zu festigen oder „die Gemäßigten auf den palästinensischen Straßen zu stärken“. Ebenso wenig konnten die Mordanschläge das „Bewusstsein der Palästinenser“ im Hinblick auf die Sinnlosigkeit des Widerstands beeinflussen. Sie verschärften im Gegenteil den Konflikt, verstärkten die Motivation für Vergeltungsmaßnahmen und steigerten die allgemeine Zustimmung der Palästinenser zu Terroranschlägen.

Die politische Logik der gezielten Anschläge verbirgt sich häufig hinter einer militärischen Rhetorik und führt die Logik der Bombenattentate der mechanischen und der systemischen Ebene ins Feld, die dem internationalen Recht entsprechend als legal betrachtet werden. Während des Krieges, der jetzt zwischen Israel und der Hisbollah stattfindet, wurden die gezielten Attentate von der israelischen Seite mit einer militärischen Logik begründet: mit der Zerstörung von Flughäfen, Brücken, Hisbollah-Büros, Raketen-Abschussbasen, Versorgungsleitungen etc. Das Militär „verwechselt“ bewusst Ursache mit Wirkung und Nebenwirkung. Es stellte zivile Opfer als bedauerliche Nebenwirkungen seiner Versuche dar, militärische oder zivil und militärisch genutzte Ziele zu treffen. Die Zerstörung von Wohnraum und das Töten oder die Vertreibung von Zivilisten war tatsächlich das wichtigste Mittel, um politischen Druck auszuüben. Diese Serie von Angriffen hat ihren Vorläufer in der Logik der militärischen Interventionen Israels im Libanon, die oft das Ziel verfolgten, die vorhandenen Differenzen und Feindseligkeiten innerhalb der komplexen, sozio-politischen und ethnischen Strukturen des Landes zu manipulieren. Dies erinnert an die israelische „Operation Accountabilty“ von 1996 , die von Barak geleitet wurde. Sein Plan sah vor, militärische Angriffe und politische Manipulation zu verbinden, um seine Gegner dazu zu zwingen, in seinem Sinn zu handeln. Die Strategie bestand darin, mehr als siebzig schiitische Dörfer zu bombardieren, um die Bewohner zur Flucht nach Norden in Richtung Beirut zu zwingen. Barak hoffte, ihre Anwesenheit in der Stadt würde Druck auf die Regierung ausüben, die ihrerseits Druck auf die Syrer ausüben würde, von denen man sich Druck auf die Palästinenser erhoffte (die einen Teil der Flüchtlinge in Beirut bildeten), so dass sie ihre Militäraktionen einstellen und die Waffen ablegen würden.

Israelischen Sprechern zufolge sollen die Bombardierungen im jetzigen Libanonkrieg wieder dazu führen, dass sich die libanesische Bevölkerung gegen die Hisbollah wendet – ein Schachzug, der auf der Annahme basierte, das kühle politische Kalkül könne in Kriegszeiten über die rachedurstige Wut triumphieren. Die zivilen Opfer und ihre Rechtfertigung als „Kollateralschaden“ waren Teil eines Versuchs, eine menschliche Katastrophe herbeizuführen, die international nicht tolerierbar wäre und damit eine internationale Intervention zu Israels Bedingungen beschleunigen würde. Es muss nicht daran erinnert werden, dass solche taktischen Züge in den 1990er Jahren immer wieder zum Scheitern Israels führten. Die Flüchtlinge hatten weder die Absicht noch die Macht, die libanesische Regierung oder Hisbollah unter Druck zu setzen, und die Bombardierungen führten nur zur allgemeinen Empörung und verstärktem Rückhalt für Hisbollah. Diese Strategie wird wahrscheinlich erneut scheitern. Können wir es Israel aber wirklich abnehmen, dass es operative Wirkungen erzielen will? Sind die Angriffe auf die Guerilla „das Ding an sich“? Ich meine, hier werden Ziel und Nebenwirkung verwechselt. Was als Nebenwirkung dargestellt wird, ist gewissermaßen das Wesentliche dieses Krieges. Was als das Wesentliche erscheint, ist die Nebenwirkung. Insofern ist der „Kollateralschaden“, wenn wir dieses schreckliche Wort überhaupt noch verwenden wollen, sind die zivilen Todesopfer keine Nebenwirkung des Krieges, keine bedauerliche Folge des israelischen Versuchs, die operative Logik der Hisbollah zu zerstören, sondern das eigentliche Ziel dieses Krieges. Das Töten von Zivilisten soll Empörung auslösen, die Vertreibung von Flüchtlingen soll die Welt zur Intervention zwingen.

Warum wird der Libanon bombardiert und nicht nur bestimmte Ziele im Land? Einfach weil der Westen, und das ist ein weiteres Paradox, sehr viel Sympathie für den Libanon empfindet, weil das Land für die Form von Mittelklassen-Revolution steht, die im Nahen Osten vorstellbar erscheint. Der Libanon macht den Europäern und Amerikanern Hoffnung auf einen vernünftigen Nahen Osten. Paradoxerweise wird das Land gerade wegen dieser Liebe so erbarmungslos attackiert. Es hat keinen Sinn, eine Geisel zu nehmen, die nicht geliebt wird. Die Heftigkeit der Angriffe steht im umgekehrten Verhältnis zur Liebe der Europäer für den heutigen Libanon. Die Welt muss wissen, dass Israel den Verstand verloren hat, und deshalb muss die Welt die israelischen Forderungen akzeptieren. Dies ist die Mobilisierung von Empörung. Wenn die im Libanon getöteten Zivilisten, anders als von Israel erklärt, keine „Nebenwirkung“ des Krieges sind, sondern das eigentliche Ziel, muss man zu dem Schluss kommen, dass diese Logik nur mit Hilfe eines internationalen Strafgerichtshof für Kriegsverbrechen aufzuhalten ist.

Wenn Kriege eine Semiotik besitzen, sind die eingesetzten Waffen ihr Vokabular. Die Frage kann aber nicht lauten: Was bedeutet diese Waffe? Sie muss vielmehr lauten: Was tut diese Waffe? Was bedeutet es, eher diese als jene Waffe zu verwenden? Warum stellen wir uns diese Fragen? In Israel gibt es eine große Debatte darüber, welche Raketen gegen das Land eingesetzt werden. Sind es Katjuscha-Raketen? Wenn es Katjuschas sind, sind es Lang- oder Kurzstreckenraketen? Sind es Fajr-Raketen? Ist es eine Fajr 3 oder eine Fajr 5? Sind diese Fajr Langstreckenraketen? Welche Städte wurden getroffen? Ist es Arfula, ist es Haifa, ist es Kfar Saba im Norden? Wie viele Tonnen wiegt diese Bombe? Wie viele Tonnen wurden über Nasrallahs Bunker und den Wohngebieten von Dahaiya abgeworfen? Sie alle sind Teil der Semiotik der unterschiedlichen Waffen und der verwendeten Munition. Als eine Rakete der Hisbollah ein israelisches Schiff traf, war dies kein operativer Erfolg, weil die Seeblockade des Hafens von Beirut sowie der gesamten libanesischen Küste nicht durchbrochen wurde. Aber man muss diesen Vorfall in seinem kommunikativen Kontext sehen – im Kontext mit dem Video, in dem Nasrallah Sekunden vor dem Abfeuern der Rakete sagte: Seht jetzt zum Ufer. Und nach dem Abfeuern der Rakete: Seht das Schiff des Feindes: Es brennt und seine Soldaten springen ins Meer. So wurde die abgefeuerte Rakete zu einer Fortsetzung des Sprechens. Das allein machte die Wirkung dieser Operation aus.

Es gibt eine spezielle Sprache, eine spezielle Munition und spezielle Waffen, um den Konflikt nicht über den Schwellenwert des „low intensity conflict“ eskalieren zu lassen. In der Logik eines Konflikts mit geringer Intensität versuchen beide Seiten bewusst, die Gewalt so nahe wie möglich am Schwellenwert des Tolerierbaren zu halten. Dieser Schwellenwert ist dynamisch. Wir müssen die sprachlichen Aspekte des Krieges als Gefälle zwischen dem Tolerierbaren und dem Nicht-Tolerierbaren sehen. Und es gibt eine Ökonomie dieser Gewalt und eine Ökonomie auf der Ebene des Leidens. Eine Ökonomie, die das Tolerierbare als etwas anderes wahrnimmt als das Nicht-Tolerierbare. Die Entscheidungen der internationalen Politik basieren auf der Lokalisierung innerhalb des beweglichen Gefälles der „Akzeptanz“. Diese Entscheidungen sind auch geographisch relativ: Dinge sind an einem Ort akzeptabel, aber an einem anderen unakzeptabel. Konflikte mit geringer Intensität stellen sich als eine Abfolge von Handlungen dar, die als politisch tolerierbar definiert werden. Diese Ökonomie bedeutet, dass zum Beispiel in Palästina überraschende Razzien und Luftangriffe der israelischen Armee, Attentate, gelegentliche Qassam-Raketen, sogar eine Selbstmordbombe, im Libanon Katjuscha-Raketen, ebenfalls Luftangriffe, Heckenschützen, Schießereien, sogar gelegentliche Entführungen (bevor gerade diese Taten die Spielregeln brachen) als der innerhalb dieser Logik akzeptable und tolerierbare Schwellenwert erschienen. Das gilt auch für die humanitäre Situation in Gaza. Die israelische Autorin Ariella Azoulay hat darauf hingewiesen, dass es in der strategischen Führung Israels ein stillschweigendes Einverständnis darüber gibt, dass der „Westen“, falls es in Palästina zur Hungersnot, zu einer humanitären Katastrophe käme, eine internationale Intervention fordern würde. Obwohl Israel die besetzten Gebiete bis an den Rand einer Hungersnot getrieben hat, versucht die Regierung, den Kreislauf von Verkehr, Geld und Hilfe so zu regeln, dass es nicht zu einem vollständigen Zusammenbruch kommt, weil ein internationaler Eingriff, möglicherweise unter einem Mandat der UN, erfolgen könnte. Die „Besetzung“ von Gaza ist daher als „Krisenmanagement“ neu konzipiert worden und wird von Israel durch das Öffnen und Schließen von Checkpoints und Terminals geregelt. Durch diese Regulierung der internationalen Hilfe kontrolliert Israel unter dem Deckmantel der Sicherheit noch immer die palästinensische Wirtschaft – und das Leben – in Gaza und im Westjordanland. Dabei wird die Wirklichkeit immer auf der Schwelle dessen gehalten, was die Welt, nicht die Opfer der Aggression, zu verstehen oder zu akzeptieren bereit ist. Die Welt ist bereit zu akzeptieren, dass man am Rand einer humanitären Katastrophe lebt, wenn man Palästinenser ist. Das hört sich nach einer ganz anderen Ökonomie an.

Ein Konflikt mit geringer Intensität wird den Angegriffenen immer als die gemäßigte Alternative zu der Vernichtungskapazität dargestellt, die das Militär und die Kämpfer tatsächlich besitzen und die sie auch einsetzen würden – in Form einer regelrechten Invasion, der Wiederbesetzung von Land, wenn es um Gaza geht, oder um die wahllose Ermordung von Zivilpersonen, wenn der Gegner das akzeptable Maß an Gewalt überschreitet oder eine stillschweigende Übereinkunft in dem gewalttätigen Diskurs von Schlag und Gegenschlag bricht. Nach dieser Logik der Nekro-Ökonomie sollen gezielte Attentate als das „geringere Übel“ erscheinen, verglichen mit den möglichen größeren Übeln, die sowohl den Israelis als auch den Palästinensern zustoßen könnten. Israel geht es darum, den Palästinensern klarzumachen, dass diese gezielten Attentate helfen, brutalere Maßnahmen in Schranken zu halten, die die gesamte Bevölkerung betreffen würden statt nur oder vor allem die „Schuldigen“.

Zur Bestätigung dieser Logik befürwortete Luftwaffenchef Sharkedy gezielte Attentate und sagte wenige Wochen vor der Invasion in Gaza im Jahr 2006, „Die einzige Alternative zu Luftangriffen ist eine Bodenoperation und die Wiederbesetzung von Gaza … [Gezielte Attentate] sind das präziseste Werkzeug, das wir haben.“ Das Bestreben, den Krieg „humaner“ zu machen – das seit dem neunzehnten Jahrhundert in zahlreichen Konventionen und Kriegsgesetzen niedergeschrieben wird – kann unter bestimmten Bedingungen dazu führen, dass der Krieg leichter vorstellbar ist und häufiger geführt wird. Die Regulierung der Gewalt durch Gesetze und moralische Regeln, die die Gesellschaften sich freiwillig auferlegen, kann dazu führen, dass der Einsatz von Gewalt legitimiert und verlängert wird. Ein Beispiel dafür ist die von den israelischen Streitkräften benutzte, mit Gummi beschichtete Munition. Die Soldaten glauben nicht, dass „Gummikugeln“ tödliche Geschosse sind und sind überzeugt davon, mit ihrer Verwendung in nicht lebensgefährlichen Situationen Zurückhaltung zu demonstrieren. Aber diese Wahrnehmung führt zum häufigeren und wahlloseren Einsatz der Waffen, durch den zahlreiche palästinensische Demonstranten, vor allem Kinder, getötet oder dauerhaft beschädigt wurden.

Die Wiederbesetzung von Gaza im Juni 2002 und der Libanonkrieg im Juni und Juli 2006 zeigten, dass eine destruktivere Alternative immer denkbar ist, besonders wenn ein Bruch der „ungeschriebenen Regeln“ wahrgenommen wird. Seit der Entführung eines israelischen Soldaten am 28. Juni in Gaza wurden mehr als 500 Palästinenser getötet, darunter 88 Minderjährige, und mehr als 2 700 wurden verletzt. Infrastruktur im Wert von 46 Millionen Dollar wurde zerstört, darunter ein Kraftwerk und 270 Wohnhäuser. Dieses sollte als ein Ausbruch von Gewalt verstanden werden, der der Drohung umfangreicherer Maßnahmen Nachdruck verleihen sollte. Die gezielten Attentate liegen also etwa in der Mitte des Spektrums zwischen völligem Frieden und totalem Krieg. Die Überzeugung des Militärs, dass es „kontrolliert“, „elegant“, „chirurgisch genau“ töten kann, könnte mehr Zerstörung zur Folge haben als „traditionelle“ Methoden, weil die „modernen“ Methoden, in Verbindung mit einer manipulativen und euphorischen Rhetorik, die Entscheidungsträger verleitet, ihrem häufigeren und längeren Gebrauch zuzustimmen.

Die Illusion der Präzision, die zur Rhetorik der Zurückhaltung gehört, gibt dem militärisch-politischen Apparat die notwendige Rechtfertigung für den Einsatz von Sprengstoff in einem zivilen Umfeld, in dem der Tod oder die Verletzung von Zivilisten unvermeidlich sind. Je niedriger das Gewaltpotential einer Maßnahme zu sein scheint, desto häufiger wird von ihr Gebrauch gemacht. Der Konflikt mit geringer Intensität soll dem Erhalt des Status quo dienen, da er innenpolitisch für beide Seiten günstig ist. Das Problem ist allerdings, dass Kriege mit geringer Intensität tödlicher sein können, gerade weil sie akzeptiert und toleriert werden und daher zeitlich ausgedehnt werden können. Das führt paradoxerweise zu mehr Opfern.

Ich meine natürlich nicht, dass die „größeren Übel“ besser sind als die kleineren, oder dass die Kriege brutaler sein sollten. Es geht vielmehr darum, schon die Begriffe der Ökonomie des Übels in Frage zu stellen, die das System als unvermeidlich zur Wahl stellt. Wenn man die Wahl des „kleineren Übels“ für berechtigt hält, weil es das Unheil produzierende System einschränkt, dann akzeptiert man de facto die Geltung des Systems, das uns die Wahl aufzwingt. Das Dilemma der Wahl zwischen dem größeren und dem kleineren Übel ist ein integraler Bestandteil des politischen „Militarismus“ – eine Kultur, die Gewalt als permanent betrachtet und in der das militärische Vorgehen die wichtigste Alternative der Politiker ist. Der israelische Militarismus hat immer militärische Lösungen für politische Probleme gesucht. Eingeschlossen in die Grenzen, die durch unterschiedliche Grade von Gewalt definiert sind, schließt der Staat die Erkundung anderer Wege für Verhandlungen und die Partizipation an einem genuin politischen Prozess aus.

Anfang 2006 stellte Generalstabschef Dan Halutz, der das Bombardement im Libanon organisierte, diese Sicht der Welt dar, indem er feststellte, dass „die Intifada Teil eines unlösbaren … permanenten Konflikts zwischen Juden und Palästinensern ist, der 1929 begann.“ Halutz zufolge muss sich das Militär darauf einstellen, in einem konfliktreichen Umfeld und einer Zukunft mit permanenter Gewalt zu operieren. Damit erinnerte er an eine in der israelischen Sicherheitsdebatte immer wieder erhobene Forderung: Im Juni 1977 erklärte Mosche Dayan, damals Außenminister, die Annahme, der Konflikt Israels mit den Palästinensern könne „gelöst“ werden, sei völlig falsch. „Die Frage ist nicht: ’Was ist die Lösung?’ sondern ‚Wie leben wir ohne eine Lösung?’“. Die Vorstellung des kleineren Übels hängt also mit Israels Politik des Alleingangs zusammen, mit der Vorstellung, dass es keinen Partner gibt und mit der Idee des unendlichen Konflikts. Bombardements werden also im Libanon immer als das „kleinere Übel“ betrachtet, Besetzung wird im Westjordanland als das „notwendige Übel“ geplant, und Attentate sind in Gaza ein „notwendiges Übel“. Da es also weder eine politische Lösung noch ein militärisch entscheidendes Ergebnis geben kann, beschränkt sich das israelische Militär darauf, „den Konflikt zu managen“. Anfang 2006 glaubte Halutz noch, die Präzisionsmethoden der israelischen Luftwaffe würden dazu beitragen, den Konflikt auf „einer so niedrigen Flamme [zu halten], dass die israelische Gesellschaft mit ihm leben und prosperieren kann.“ Die Vorhersage eines endlosen Krieges wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit erfüllen.

Aus dem Englischen von Gabriele Ricke