Architektonisches Wettrüsten

Wettrüsten

Die beständige Erweiterung von militärischer Macht durch zwei oder mehr Staaten, basierend auf der Annahme, dass nur die Sicherstellung eines Vorteils durch diese Macht, deren nationale Sicherheit oder Vormachtstellung gewährleistet. Das Wesentliche an dem Konzept von Wettrüsten ist, dass die Beziehung zwischen den Gegnern nie stabil, sondern ein sich immer veränderndes System von Beziehungen ist, das sich sowohl an der Anzahl als auch an den Leistungsmerkmalen der Waffen orientiert. Insofern gibt es einen quantitativen und einen qualitativen Aspekt (z.B. Sprengkraft, Genauigkeit, Durchschlagskraft).

Die Idee ist, nicht allein beim Wettlauf mitzuhalten, sondern seinem Gegenüber immer voraus zu sein - sobald ein System zurückfällt, muss es nachrüsten. Es ist ein Prinzip oder eine Politik der Abschreckung. Der momentane Gewinn des einen stellt eine Krise für den anderen dar. Durch eine symmetrische Achse entsteht eine kontinuierliche Spannung zwischen beiden Systemen. Jeder Moment des Gleichgewichts oder der Ebenbürtigkeit muss sofort übertroffen werden - oder andersherum: jeder Vorteil des anderen muss, wenn nicht übertroffen, dann zumindest in gleicher Qualität oder Quantität erreicht werden. In diesem Sinne, paradoxer Weise, je länger das Wettrüsten läuft, je länger weitere und verbesserte Waffensysteme entwickelt und produziert werden, desto mehr wird ein Ausbruch des Krieges verhindert.

Architektonisches Wettrüsten

Die Fragestellung ist, wie eine spezielle Gestaltung von Raum dermaßen andauernde Spannungen entzünden kann, so einen Zustand von nie gelöstem Konflikt. Architektur stellt in einiger Hinsicht immer die Bedingungen von Konflikt im Raum dar, und beteiligt sich in der Konsequenz an der Transformation der gebauten Umgebung, eben jenem Instrument von Politik. Das Konzept "architektonisches Wettrüsten" repräsentiert eine besonders aggressive Form von Architektur, die ein zentrales Kriegsmittel und Kriegswesen geworden ist. Aber wie sieht ein Wettrüsten mit Architektur, Ziegeln und Mörtel aus? Wie können architektonische Kategorien wie Form, Größe, Position, die Funktion, Benutzung und Aussehen eines Gebäudes Munition werden, konstruiert um die andere Seite abzuschrecken, ihr "Waffenarsenal" einzusetzen? Die Analyse einer speziellen historischen Situation könnte einige dieser Fragen klären und helfen, den Eintrag in das Wörterbuch zu formulieren.

Eines der ausgeprägtesten architektonischen Wettrüsten fand im Kalten Krieg statt. Der Kalte Krieg war eine Zeit von Ost-West Konkurrenz und Konflikt, die gekennzeichnet war durch gegenseitige Annahme feindlicher Absichten zwischen den militärisch-politischen Bündnissen oder Blöcken. Hier wurde der Prozess, immer größere und ausgeklügeltere strategische Einheiten aufzubauen, wobei jede Seite gleichzeitig mit der Zerstörung der anderen droht, der hauptsächliche Schutz gegen den Ausbruch eines Atomkrieges.
Das militärische Wettrüsten schuf eine vielschichtige Landschaft von Nebenprodukten: Raketensilos, Militärstützpunkte, Atomtestgelände, Atomschutzbunker, usw. Das meiste dieser Maschinerie stand oder steht immer noch still und unbenutzt auf beiden Seiten des ehemaligen eisernen Vorhangs. Diese Festungen des atomaren Zeitalters berichten von einer Zeit, in der es weder Krieg noch Frieden gab, in der beide Seiten in einem kontinuierlichen Verteidigungszustand waren. In seinem Buch Survival City beschreibt Tom Vanderbilt die Atmosphäre des Kalten Krieges: "Schlachtfelder waren überall und nirgends, ein abstrakter Ort auf wandgroßen Bildschirmen in Kontrollräumen, vorausgesagt in wellenförmig ausstrahlenden Schadensabschätzungen auf Luftfotografien von Städten, runtergefiltert auf Hinterhöfe, wo Hausbesitzer Pläne für Schutzbunker, die von der Regierung zur Verfügung gestellt wurden, studieren. Angriff war augenblicklich, ohne jegliche räumlichen Komponente ..." Dennoch war nicht nur jeder Bereich von Kultur von einem unsichtbaren und allgegenwärtigen Bedürfnis nach Schutz betroffen, es gab sogar Momente in denen Kunst, Design und Architektur eine zentrale Rolle im politischen Konflikt spielten.

In ihrem Buch Dreamworld and Catastrophe spekuliert Susan Buck-Morss über das Ausleihen von Bildern, wie zum Beispiel der Zufall, dass der erste King Kong Film 1933 in Amerika erschien und dass nur ein paar Monate später der gewinnende Beitrag in der Ausschreibung für den Palast der Sowjets genau der war, in welchem eine gigantische Leninstatue das geplante höchste Gebäude der Welt überragen sollte. Andere analysierten wie abwertende Darstellungen des "Sowjetischen Blocks" dazu beitrugen, die Komplexität der Kalten Kriegs Antagonismen zu vereinfachen und sie in westliches öffentliches Bewusstsein zu filtern. Einer der berühmtesten Teilnehmer im Zelluloid Propagandakrieg war Hitchcocks Der zerrissene Vorhang, der 1966 erschien. Wie immer war Hitchcock besessen von Farben und Licht. Frida Grafe's Filmfarben beschreibt, wie Hitchcock wollte, dass Der zerrissene Vorhang der erste seiner Filme sein sollte, der eine realistische Kulisse hat. Dies sollte durch eine Doppelstrategie erlangt werden: bessere Filmqualität und der Einsatz von Originalorten. 1966 war der Kalte Krieg an seinem Höhepunkt und das letztere der beiden Ziele blieb unrealisierbar. Die DDR erteilte einfach keine Drehgenehmigung an Hollywood Produktionen, also war Hitchcock gezwungen, die DDR inwendig wieder zu erschaffen. Hitchcock suchte verzweifelt die "richtigen" Farben um die DDR zu "malen". Um den gewünschten Effekt zu erzielen, platzierte er eine Bandbreite von beigen Filtern vor der Kamera und kleidete seine Schauspieler in eine Auswahl von Grautönen. Er ordnete auch extra Rouge auf die Wangen seiner Polizeimänner an, um dem Betrachter ein Gefühl von "der Kälte, die von blassen Farben stammt" zu geben. Hitchcock fälschte sogar die deutschen Agfa-Farben, um die Wasserfarbentöne zu erzielen, die er suchte. Die Farben in dem Film waren derart gestaltet, dass sie eine Stimmung von Feindseeligkeit und Böswilligkeit setzen sollten, die das Regime aus westlichen Augen kennzeichnete. Die Handlung, unrealistisch nach modernen Standards, stellt den Osten als böse bürokratische Maschine dar, die nur durch den Heroismus des amerikanischen Wissenschaftlers (gekleidet in blau) und seiner Liebhaberin (gekleidet in grün) besiegt werden kann, welche beide Spione waren.

Aber auch Objekte des Alltags wurden Thema der Auseinandersetzung der Atommächte. Einer der bekanntesten Zusammenstöße war die so genannte "Kitchen Debate". 1958, auf der Spitze des Kalten Krieges , einigten sich die USA und die Sowjetunion, dass ihre jeweiligen Ideologien gegeneinander getestet werden sollten, ohne in einen globalen Krieg zu eskalieren. Die vorgeschlagenen "Austausche" bezogen sich auf "Wissenschaft, Technologie und Kultur" und erlaubten den beiden Seiten mit dem Wertzuwachs gegeneinander anzutreten, den ihr jeweiliges System seinen gewöhnlichen Bürgern bereitstellte. Im Juni 1959 eröffnete die Sowjetische Ausstellung in New York City. Im folgenden Monat eröffnete die amerikanische Ausstellung in Moskau. Für die Amerikaner bedeutete das, mit den aktuellsten stromlinienförmigen, ultra-modernsten und luxuriösesten Objekten zu prahlen, die in amerikanischen Vorstadthaushalten gefunden werden konnten. Die überwältigende Vielzahl von Konsumartikeln, Fernsehern, Geschirrspülautomaten, Herde, Kühlschränken, vollautomatischen Küchen und sogar ein lebensgroßes Modell eines Supermarkts – von welchem das sowjetische Publikum und einige Würdenträger nicht widerstehen konnten, Souveniers mitzunehmen – war der sowjetischen Ausstellung gegenübergestellt, die den Abschuss des Sputnik Satelliten, Pläne für zukünftige Raumfahrten und kürzlich entwickelte Technologien für die Steigerung von Fabrikproduktion beinhaltete. Die Ausstellung hielt geschickt das Wesentliche der konkurrierenden Ideologien fest: Der 'American Way of Life' wurde durch die amerikanische Vorstadtmittelklasse, mit ihrem Luxusappetit und Bequemlichkeitswesen repräsentiert; während die sowjetische Erfahrung auf den Staat und epischere Projekte fokussierte.

Bei der Moskauer Ausstellung trafen sich Vizepräsident Nixon und Regierungschef Chruschtschow vor einem Ausstellungsraum einer Amerikanischen Küche zu der so genannten "Kitchen Debate". Nixon war es vielleicht etwas peinlich, auf die Rolle eines Verkäufers reduziert zu sein, während er versuchte, wie Karen Ann Marling, meint "Neid und Unzufriedenheit auf einer grundlegenden Ebene von Appetit zu entfachen, haptisches Vergnügen und sensorische Überflutung" mit kleinbürgerlichen Belanglosigkeiten der vorstädtischen häuslichen Luxusartikel. Dennoch nutzte Nixon die Macht der amerikanischen Konsumentengesellschaft, indem er die Geräte präsentierte und behauptete, er würde "hoffen (die amerikanische) Vielfältigkeit und ... das Recht zu wählen zu zeigen". Chruschtschow seinerseits nannte die Dinge beim Namen, als er die amerikanischen Geräte als bloßen Schnickschnack abtat: die Sowjets hatten ihre Bemühungen auf "ernsthafte wissenschaftliche Ausstellungen" konzentriert und waren bestürzt über das was sie als Amerikas Vermeidung der zentralen Punkte sahen. Obwohl die modernen Annehmlichkeiten der US Hausfrau oberflächlich beeindruckend waren und Nixon den Sieg in der Debatte sicherten, gab Chruschtschow acht, nichts einzugestehen. In typisch sowjetischer Prahlerei polterte er: "In weiteren sieben Jahren werden wir auf der gleichen Ebene sein wie Amerika. Wenn wir aufholen, wenn wir euch überholen, werden wir euch zuwinken."

Aber dieser Text soll sich dem Konflikt widmen, der mit Mitteln der Architektur auf dem Grenzgebiet zwischen der Bundesrepublik Deutschland (BRD), ehemals bekannt als Westdeutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), ehemals bekannt als Ostdeutschland, angeheizt wurde. Hier, so scheint es, wurden der Antagonismus des Kalten Krieges und die Brutalität am deutlichsten sichtbar. Was ich auch den "Krieg der Straßen und Häuser" genannt habe, war nicht darauf angelegt die beiden Staaten physisch durch die Errichtung von militärischen Bollwerken zu befestigen. Stattdessen war es für die Vorsitzenden der konkurrierenden Ideologien eine Form , ihre einschüchternde und bedrohende Rhetorik zu übertragen. Es war Stadtplanung als Propaganda. Kulturelle Überzeugungen und amorphe Ideologien kamen in einer Art "Gestenarchitektur" zusammen, um ihre Botschaft dorthin zu projizieren wo ihr Volk nicht hingehen konnte - an und "über" die Mauer. Im Zentrum dieser Schlacht stand die geteilte Stadt Berlin. Hier wurde die kulturelle Konfrontation in unerbittlich konkurrierender Stadtplanung ausgespielt - ein Ost gegen West "Wettrüsten" von Straßen, Wohnanlagen, öffentlichen Gebäuden und hohen Türmen, als materielle Verkörperung der ökonomischen Mächtigkeit und ideologischen Stärke der jeweiligen Seite.

In den frühen Fünfzigern wurde eine bizarre Art des "Geheimkrieges" im Untergrund von Berlin ausgefochten. Auch heute noch sind für viele Operationen wie "Operation Gold" - eine gemeinsame durch den CIA und den britischen Auslandsgeheimdienst SIS durchgeführte Operation - zuverlässige Informationen nur sehr beschränkt vorhanden. Einige dieser Geschichten könnten sich etwas peinlich für die jeweilige Seite herausstellen. Im Jahr 1954 wurde die "Operation Gold" in Gang gesetzt, um die Festnetztelefonkommunikation des sowjetischen Armeehauptquartiers in Berlin mit Hilfe eines Tunnels in der sowjetischen Besatzungszone abzuhören. Während der Bau des 450 Meter langen Tunnels, der von Neukölln im amerikanischen Sektor bis nach Treptow in den sowjetischen Sektor eine außergewöhnliche technische Herausforderung darstellte, entschied sich der KGB die "Operation Gold" weiterlaufen zu lassen, weil sie das Potential zur Desinformation sahen. Elf Monate nachdem der Tunnel in Betrieb genommen wurde, brachen sowjetische und ostdeutsche Soldaten in das Ostende des Tunnels ein und erbrüsteten sich über diese "Verletzung der Normen des internationalen Rechts" und "Gangster Tat".

Zur etwa gleichen Zeit wurde der Konflikt weiter angeheizt durch den Bau der Stalinallee - eine gewaltige Paradestraße - im Osten und die "Vergeltung" (im Jahr 1957) durch das Hansaviertel - ein "innovatives" Wohnungsbauprojekt - im Westen. Das Hansaviertel versuchte fast alle der hauptsächlichen Designmerkmale der Stalinallee zu negieren: um die hierarchisch organisierte und monumentale Achse der Stalinallee zu kontrastieren, bot das Hansaviertel eine fließende, grüne, asymmetrische städtische Landschaft, die mit individuell alleinstehenden Gebäuden akzentuiert wurde.

Im Jahr 1957 verkündete die Bundesrepublik und der Westberliner Senat, unterstützt durch führende Berliner Geschäftsmänner, den "Hauptstadt Berlin" Wettbewerb, um für die Wiederkehr der Deutschen Regierung nach Berlin zu werben. Der Wettbewerb war teilweise ausgelegt die DDR in eine peinliche Lage zu bringen, die seit Jahren versuchte, einen Bebauungsplan für das Zentrum zu erstellen und sich bislang nicht einmal über Form und Stil seines zentralen Turms einigen konnte. Bereits unzufrieden darüber, verbot die DDR ihren Architekten an dem Wettbewerb teilzunehmen, nachdem einer ihrer Juroren von dem westlichen Komitee abgelehnt wurden. Aber die Hauptprovokation folgte noch: zu einem Zeitpunkt als die Bundesrepublik internationale Diplomatie nutzte, um die Existenz eines zweiten Deutschen Staates zu leugnen, wurde bekannt, dass die Wettbewerbsausschreibung die Teilnehmer explizit aufforderte, das Ostberliner Territorium nicht aus ihren Plänen auszulassen. Während viele Architekten, von denen viele zu der Zeit sehr angesehene Architekten waren, sich auf existierende Ideen bezogen und auf das, was sie über Berlins Politik und städtische Geschichte wussten, wurden andere von der Fiktion von Berlin als Zentrum eines wiedervereinigten Deutschlands und als eine Weltmetropole ermutigt, einige ihrer radikalsten architektonischen Statements zu produzieren. Einige westliche Architekten, denen wahrscheinlich die politischen Konsequenzen ihres Projektes weniger bewusst waren, gestalteten Wolkenkratzer-fantasien von solch übertriebener Höhe, dass sie die Hälfte der in der Stadt verfügbaren Wohn- und Büroräume hätten beherbergen können. Diese gigantischen Strukturen - die in ihrer Größe von einem einfachen, 720m (Cartiglioni) Turm bis zu einem Netz von fünf 222 m "kartesischen Türmen" (Corbusier) reichten - waren nicht nur grotesk groß, sondern demonstrierten auch eine völlige Missachtung jeden Aspekts von Stadtplanung in Ostberlin.

Im Gegenzug startete die Regierung von Ostberlin vier Monate nach dem Ende des Wettbewerbs "Hauptstadt Berlin", seinen eigenen Ideenwettbewerb für die Re-Organisation des Zentrums der Hauptstadt der DDR und lud exklusiv Architekten aus sozialistischen Ländern ein, das Angebot ablehnend, das der Westen präsentierte. Aber erst im Mai 1960 sprach Walter Ulbricht, der damalige Regierungschef, Architekten persönlich an und erklärte, dass die DDR die Zeit des "Sieges des Sozialismus" erreiche und dass daher der Druck auf Westdeutschland aufrecht erhalten werden und keine Minderwertigkeitsgefühle erlaubt sein sollten. Die Westberliner Pläne der Hochhäuser, so beharrte er, müssen sofort beantwortet werden mit visuellen Merkzeichen von höherer Qualität, die den "Arbeiter- und Bauernstaat" repräsentierten. Anstelle eines gigantischen Parteigebäudes wurde im folgenden Jahr, 1961, die Berliner Mauer gebaut, die den Konflikt zwischen den beiden Teilen der Stadt mit neuen Spannungen und Energien auflud.

Die Mauer, in all ihrer nackten Aggressivität und Macht, war wohl die größte Waffe im Wettrüsten und sie war in ihrer symbolischen Verwirklichung politischen Gebrauchs von Architektur einmalig. Ihr Bau trieb jedoch eine andere Phase in der ideologischen Schlacht voran, in welcher Architektur nicht nur als eine physische Befestigung von zwei rivalisierenden Staaten, sondern eher ein symbolisches Instrument in einem Krieg war, der auf der Ebene von ideologischer Propaganda stattfand. Städtebau dient als eine Verlängerung von einschüchternder und bedrohender Rhetorik der Führer, die ihre Botschaft an und über die Mauer projizieren, durch den rein visuellen Bereich, der den vom Anderen hermetisch abgeschotteten Raum penetrieren kann. Die "Schlacht der Skyline", war in der Tat eine Rivalität, die in Stadtsilhouetten und Panorama - Postkartenansichten ausgetragen wurde, durch die Produktion und Projektion des neuesten Arsenals von Monumenten.

Im Jahr 1964 entschied sich die DDR Regierung für den Bau eines Fernsehturms. Schon seit 1959 hatte Westberlin geplant, einen Fernsehturm zu bauen, aber die Umsetzung scheiterte immer an rechtlichen, finanziellen und politischen Gründen. Als der Osten seinen Fernsehturm zuerst fertiggestellt hatte, gewann die DDR einen großen Sieg in der "Schlacht um die Skyline". Diese Befriedigung verstärkte die Euphorie über die Heldentaten des Kosmonauten Sigmund Jähn, des ersten Deutschen im All. Wie Peter Müller deutlich macht, sehen bizarrerweise die gezackten Dächer des Säulenfußes des Fernsehturms aus wie ein Prototyp einer Raumfähre. Aber der Fernsehturm war nicht nur ein markantes Symbol für die Hauptstadt, das die in der DDR wahrgenommene Überlegenheit darstellte; er war auch in der Lage, die Kommunikationssysteme am Westberliner Flughafen Tempelhof zu stören. Die architektonischen Schlachten des Kalten Kriegs waren nun in vollem Gange.

Die Dinge wurden deutlich feindlicher im Jahr 1966, als Axel Springer drohte, in Licht geschriebene Nachrichten auf die Außenwände des neunzehn-stöckigen Springer-Verlags-Hochhauses zu projizieren. Diese wären auf der anderen Seite der Mauer in Ostberlin sichtbar gewesen. Obwohl die Pläne für das, was die welterste Digitalleinwand gewesen wäre nicht realisiert wurden, ging der Propagandakrieg schnell weiter. Das Springer-Hochhaus spielte eine zentrale Rolle in diesem Krieg, nicht nur mit Projektionsequipment. Sogar die Grundsteinlegung im Jahr 1959 wurde von Kalten Kriegs Propagandisten als eine einschüchternde Geste gesehen. Damals unterstützten Politiker wie zum Beispiel Willy Brandt, der damals regierender Bürgermeister und ein guter Freund von Springer war, die provozierende Geste, ein Verleger-Hochhaus absichtlich direkt an der trennenden Linie zwischen Ost- und Westberlin zu bauen. Der ursprüngliche Plan, das Gebäude mit Informationen zu verkleiden - ein neuartiges Konzept, das die modischen Vorhangfassaden postmoderner Architektur antizipierte - wurde letzten Endes zu Gunsten des Plans abgelehnt, das Haus mit gold-getöntem Glas zu verkleiden, ein Schachzug, um ein Gefühl westlichen Reichtums in den Osten zu projizieren. Ob die ursprüngliche Idee auf Druck von Ostdeutschland fallengelassen wurde oder ob Springer die Idee letztendlich zurückgenommen hatte, ist unklar. Die einzig Ablehnenden waren die Angestellten von Springer, deren Sicht über die Mauer nach Ostberlin durch die orange Farbe verdorben gewesen wäre. Für den Osten war allerdings die Präsenz von hunderten von Journalisten und die allgegenwärtigen Augen der Welt, die sich hinter Springers Spiegelglas versteckten, nichts anderes als das Observieren der Wächter im Panoptikum. Durch das ständige Überwachen des Mauerstreifens und dem Widerspiegeln seines dystopischen Panoramas zurück in die ostdeutsche Gesellschaft, schaffte das Gebäude es erfolgreich, eine subversive Form von Druck auf die DDR aufzubauen.

Um das Unbehagen des Ostens zu zelebrieren und voranzutreiben, lud Springer, als das Gebäude eingeweiht wurde, den bekannten Wiener Künstler Oskar Kokoschka ein, temporär das oberste Stockwerk zu bewohnen und den Blick über Ostberlin zu malen. Für Springer war es nicht genug, die 'menschlichen Verbrechen des Nachbar-Regimes' zu fotografieren, wie Journalisten es taten: er wollte den Osten mit der Langsamkeit, Intensität und Leidenschaft eines Gemäldes anklagen. Kokoschka's Malstil, bekannt für seine expressionistische Gewalt, passte sehr gut zu dieser Aufgabe. In rauen, wütenden, verschwommenen Linien, stellte er die Mauer mit ihren Wachtürmen im Vordergrund und die fragmentierte, verlassene Stadt Berlin im Hintergrund dar.

Leipziger Straße

Die Spannungen des Kalten Krieges erforderten, dass der Osten alsbald städtebaulich Vergeltung üben musste. Gebäude in der Nähe der Mauer mussten fortan so gestaltet sein, dass sie mindestens 19 Stockwerke hatten und Spiegelglas für die Fassaden verwendet wurde. Der Staat entschied auch, die größeren Mietshäuser, wie die in der Leipziger Straße, in einer Art zu bauen, dass sei als "zweite Mauer" fungierten, die - bewohnt von konformen Parteimitgliedern und Bürokraten - die Bilder des Westens abblocken, oder zumindest ihren Inhalt vor den unzufriedeneren Einwohnern verbergen würde. Im Gegensatz zu den seelenlosen Bürogebäuden des kapitalistischen Stadtzentrums, war die Leipziger Straße als ein öffentliches Zentrum geplant, wo die Funktionen von Kultur und Wohnen zum Wohl der Bürger koexistierten.

Das abgeschlossene Projekt beinhaltete eine Serie von 8-14stöckigen Gebäuden und vier 22stöckigen Gebäuden. Trotz des relativen Luxus, den die Anwohner am Mauerstreifen genießen konnten, nutzten einige von ihnen ihre Position aus, um dem Land mit selbstgebastelten Hänge-Gleitern zu entfliehen. Das Erbauen der Leipziger Straße in den frühen Siebzigern repräsentierte eine immense städtebauliche Unternehmung, dessen Größe, und Bedeutung mit dem Erbau der Stalinallee in den Fünfzigern vergleichbar ist. Es musste die greifbarste Frucht der Teilung sein, die sichtbare neue Realität des deutschen Sozialismus. Befreit von der Polemik des sowjetischen Neo-Klassizismus, bewegte sich die Leipziger Straße zurück in die Abstraktion des klassischen Modernismus. Demnach hat das letzte Nachladen im Wettrüsten über der Berliner Mauer genau die Form angenommen, die so charakteristisch für sozialistisches Planen war.

Der 'Krieg' zwischen globalen Supermächten, den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion und ihrer Bündnispartner, der die Form eines Wettrüstens annahm, die nukleare und konventionelle Waffen, Netzwerke militärischer Bündnisse, ökonomische Kriegsführung und Handelsembargos, Propaganda, Spionage und Stellvertreterkriege involvierte, bewirkten keine direkten Kampfhandlungen. Demzufolge wurde dieser 'Krieg' Kalter Krieg genannt. In Anbetracht der kürzlichen großflächigen Abrisse in Berlin und dem Rest von Ostdeutschland, bleibt die Frage zu diskutieren, ob es – so viele Jahre nach der politischen Detente der späten siebziger und achtziger Jahre und letztlich dem Fall der Mauer - die verbliebenen ungleichen Spannungen des Konflikts waren, die endlich den relativen Frieden, den das 'architektonische Wettrüsten' abgesichert hatte, brachen.

Wettrüsten, architektonisch

Ein architektonisches Wettrüsten ist ein Wettbewerb zwischen zwei oder mehr Ländern um Vorherrschaft mit Mitteln von Architektur und Stadtplanung. Jede Seite konkurriert darin, architektonische Symbolik oder konkrete Gebäude zu produzieren, um einen relativen Vorteil gegenüber der anderen zu haben. Solch ein Vorteil könnte symbolisch sein, oder physisch die städtebaulichen Verfahren im Land des Gegners stören.

Aus dem Englischen von Susanne Lang

Tom Vanderbilt, Survival City, S.15
Frieda Grafe, Filmfarben,S. 91
Ebd.
Beatriz Colomina, Enclosed by Images: Architecture in the Post-Sputnik Age, in Thomas Levin (ed), CTRL Space, S..324-325
Karal Ann Marlin, Nixon in Moscow: The Kitchen Debate, in Ben Highmore, The Everyday Life Reader, S.103
Ebd.,S. 103
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Ebd.,S. 105
Bruno Flierl, Hundert Jahre Hochhäuser, S.194
Peter Müller, Ein Fernsehturm für Ost-Berlin. Die ersten Versuche, in Holger Barth, Projekt Sozialistische Stadt, S.227-233
Ebd.
See Kokoschka malt Berlin, Berlin: Springer, 1966