Resistance – What’s that?

I
Relativierung des Absoluten

“Widerstand” gehört zu den Begriffen, die scheinbar eindeutig, in Wahrheit aber kaum festzulegen sind. Was ist Widerstand? Wer definiert, was das ist? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit wer was als Widerstand bezeichnet oder anerkennt? Und welches und wessen Interesse steht dahinter?

Ein Beispiel aus jüngster Zeit macht deutlich, wie kontrovers Widerstand von divergierenden Interessensgruppen definiert wird: In der deutschen Linken war er durchwegs positiv besetzt und galt als eine geschätzte Variante politischen Handelns. Doch schon hier variierte das Verständnis von Widerstand je nach politischer Richtung. Die Gewerkschaften verstanden darunter etwas völlig anderes als – zum Beispiel - die RAF. Kaderorganisationen ließen als Widerstand nur organisierte Handlungen organisierter Gruppen gelten, während Sozialrevolutionäre den Marginalisierten ein quasi apriorisches Recht auf Widerstand zugestanden. Der bundesrepublikanische Staat wiederum sprach linksradikalen Aktionen jeglichen Zusammenhang mit Widerstand ab und definierte sie stattdessen als kriminell oder terroristisch. Umgekehrt wurden in der DDR Handlungen und Verhaltensweisen, die der Westen als widerständisch anerkannte, als Rowdytum diffamiert.

Es kann hier nicht darum gehen, ein für allemal und für alle Welt verbindlich festzuschreiben, was Widerstand ist. Das wäre schlicht unmöglich. Es kann vermutlich nur darum gehen, einen Irrglauben zu beseitigen und Augen und Ohren für das zu öffnen, was bisher ignoriert, ausgegrenzt und abgewertet wurde.

Der Irrglaube, Widerstand sei etwas Gutes, und die Aktionen der „Bösen“ könnten nicht als Widerstand bezeichnet werden, ist obsolet, seit er gehegt wird. Und was ist gut, was ist böse? Der weitgehend anerkannte Minimalkonsens besagt: Es ist gut, anderen beizustehen. Es ist böse, anderen zu schaden. Doch Widerstand besteht häufig darin, andere – Aggressoren, Besatzer, Diktatoren – zu töten. Ihnen somit zu schaden. Mehr noch: als Widerstand wurde spätestens seit der europäischen Aufklärung nur noch der militärische und der im engsten Sinne politische Widerstand anerkannt. Alles andere galt als möglicherweise achtenswert, in jedem Fall aber zweitrangig. Unnötig, hinzuzufügen, dass damit vorwiegend das widerständische Verhalten von Frauen gemeint war - und ist.

Es gelten also Aktionen, die zum Ziel haben, anderen - den Feinden - das Leben zu nehmen oder ihnen anderweitig zu schaden, im Kontext des Widerstands als gut und gesellschaftlich wertvoll. Während Handlungen, die dazu dienen, anderen – Verfolgten, Kindern, Untergetauchten – das Leben zu retten oder das Überleben zu erleichterten, zu rein individuellem Verhalten trivialisiert werden. Gleichzeitig werden Handlungen, die dazu angetan sind, wieder anderen – den Feinden nämlich – das Leben zu retten oder zu erleichtern, als Kollaboration oder Verrat verurteilt. Kurzum: Widerstand ist noch nicht einmal auf der Basis eines moralischen Minimalkonsenses zu definieren.

Muss man also zu dem Schluss kommen: Widerstand entzieht sich den moralischen Kriterien gut und böse? Widerstand ist immer das, was, wer auch immer, als solchen deklariert? Wird ein Begriff derart unterschiedlich und widersprüchlich verwendet wie der des Widerstands, gerät er zu einer leeren Hülle, die so gut wie jeder Handlung, auch noch der banalsten oder der verbrecherischsten, übergestülpt werden kann.

Die sogenannten Wehrwölfe, SS-Verbände, die hinter der Front gegen die in Deutschland einmarschierenden alliierten Truppen kämpften, deklarierten ihre Mordaktionen als Widerstand. In einschlägigen Kreisen werden sie noch heute als solcher gesehen.
Die Verantwortlichen für Terroranschläge gegen Zivilisten, wie die auf das World Trade Center, die Pendlerzüge in Madrid, die Londoner U-Bahn, etc., behaupten, es handle sich hier um Widerstandsaktionen. Sie stoßen mit dieser Behauptung auf den Beifall Hunderttausender, wenn nicht Millionen Menschen.
Neonazis, die sich ein Vergnügen daraus machen, Menschen, die sie als nicht arisch definieren, zu misshandeln, bezeichnen sich als „nationaler Widerstand“ und finden dafür in Teilen der Bevölkerung Zustimmung.

Kann und muss man das hinnehmen? Oder sollte man Widerstand gegen diese Auslegung von Widerstand leisten? Ich schlage vor: Man sollte in Betracht ziehen, dass der Begriff alleine nichts über seinen Inhalt vermittelt. Dass er vieldeutig und zugleich hohl bleibt, wenn nicht dazu gesagt wird, wer gegen wen mit welchen Motiven und Methoden Widerstand leistet. Zugleich muss stets hinterfragt werden, wer warum welche Handlungen als Widerstand anerkennt und welche nicht.

Ein allgemein anerkanntes Kriterium für Widerstand ist das der Organisiertheit. Damit ist vorzugsweise die politische oder militärische, eventuell noch die soziale, ethnische oder religiöse Organisierung gemeint. Unstrukturierte Gruppen und Einzelne werden von der historischen Forschung ebenso wenig dem Widerstand zugerechnet wie von politischen Organisationen und Verbänden. Die Kölner Edelweißpriaten zum Beispiel, ein loser Zusammenschluss proletarischer und subproletarischer Jugendlicher, die Zwangsarbeiter versteckten und sich Scharmützel mit der Gestapo lieferten, wurden erst in den letzten Jahren – widerwillig – als Widerstandsgruppe anerkannt. Und Widerstandshandlungen von Frauen, die weder organisiert waren noch den herrschenden Moralvorstellungen entsprachen, werden bis heute schlicht ignoriert. Mehr noch: Wer auf sie hinweist, gerät in Verdacht, unernst, unpolitisch oder amoralisch zu sein und den Widerstand zu banalisieren oder gar zu beschmutzen. Hierzu zwei Beispiele, die für viele andere stehen:
Während der Pariser Commune versorgten Prostituierte die Aufständischen mit Lebensmitteln. Die männlichen Revolutionäre fanden das peinlich bis beleidigend. Sie bangten um ihren guten Ruf. Die Revolutionärin Louise Michel dagegen wusste die Hilfsbereitschaft ihrer Geschlechtsgenossinnen zu schätzen. Aber niemand nannte das jemals „Widerstand“.

In einigen französischen Bordellen versteckten Prostituierte Juden und Widerstandskämpfer. Dieselben Frauen bedienten, da das nun einmal ihr Job war, deutsche Besatzungs-Offiziere. Die Frauen riskierten ihr Leben, als sie den Verfolgten Unterschlupf gewährten, und die von ihnen Geretteten sind ihnen heute noch dankbar. Doch ihre praktische Solidarität wurde nie und nirgends als Widerstandshandlung bezeichnet.

Ich habe viele Jahre zum Thema Frauen und speziell jüdische Frauen im Widerstand geforscht. Und im Laufe dieser Jahre stellte ich fest: Auch ich war der gängigern Hierarchisierung von Widerstand aufgesessen. Ich hatte mich anfangs nur für die Beteiligung von Frauen am bewaffneten Widerstand interessiert. Sie waren in meiner Vorstellung die jüngeren Schwestern all der Revolutionärinnen, die ich verehrte und über die ich so viel wie möglich erfahren wollte. Die Widerständlerinnen, die zu dem Zeitpunkt bekannt waren, wurden jedoch alle dem sogenannten „passiven“ Widerstand zugerechnet. Sie hatten demnach Menschen versteckt, Flugblätter getippt und verteilt, BBC oder Radio Moskau gehört und die Informationen an andere weitergegeben. Ich ahnte aber, dass es auch Frauen gab, die nicht Flugblätter sondern Bomben transportiert, die mit der Waffe in der Hand gekämpft hatten. Ihre Geschichte wollte ich erzählen. Ihnen wollte ich meine Wertschätzung erweisen. Meine Recherchen ergaben: Es gab sie tatsächlich. Ich schrieb ein erstes Buch über diese Frauen und forschte weiter.

Eine meiner persönlichen Heldinnen war Sarah Goldberg, die Funkerin der Roten Kapelle in Belgien gewesen war und sich nach deren Zerschlagung den jüdischen Partisanen in Brüssel angeschlossen hatte. Ich bereitete gerade eine Ausstellung über Jüdischen Widerstand im Jüdischen Museum Frankfurt vor und besuchte Sarah, um von ihr weitere Informationen und vor allem Fotos und andere Objekte zu bekommen. Wir waren inzwischen befreundet, und sie half mir großzügig dabei, Interviewpartnerinnen und Material für die Ausstellung zu finden. Und dann sagte sie: „Du musst unbedingt Yvonne Jospa interviewen. Und all die anderen Frauen, die die Kinder gerettet haben.“

Ich gestehe das hier nicht gerne ein, aber ich zögerte. Es sollte doch um „richtigen Widerstand“ gehen. Zum Glück überwog meine Wertschätzung für Sarah Goldberg meine ideologische Verbohrtheit. Also vereinbarte ich, sozusagen Sarah zuliebe, ein Interview mit Yvonne Jospa, der ehemals Verantwortlichen für die Rettung der jüdischen Kinder und Jugendlichen durch das CDJ, das Jüdische Selbstschutzkomittee Belgiens. Damit begann ein intensiver Lernprozess, der zu einer grundlegenden Wandlung meiner Haltung führte. Und dazu, dass ich für mein Buch „Die Angst kam erst danach. Jüdische Frauen im Widerstand in Europa“ alle Varianten des Widerstands jüdischer Frauen erforschte. Ich begriff, dass die Frauen, die die Rettung von Kindern und Jugendlichen organisierten und durchführten, die vermutlich bedeutendste und in jedem Fall effektivste Form von Widerstand leisteten. Ich fragte mich – und meine Interviewpartnerinnen: Wie bewahrten sie sich ihre eigene Menschlichkeit inmitten des Infernos der Shoa? Woher nahmen sie den Mut, in einer aussichtslosen Lage Widerstand zu leisten, und wie bewältigten sie ihre Angst? Was empfanden die Frauen, die in bewaffneten Aktionen Menschen töteten? Die über 60 Frauen, die ich für das Buch interviewte, antworteten auf all diese Fragen mit einer unerwarteten Offenheit und mit großer Reflektiertheit und Uneitelkeit. Dass ihre Beteiligung am Widerstand von der Geschichtsschreibung weitgehend übersehen wurde, erstaunte sie nicht weiter. Nur wenige von ihnen korrigierten das falsche Bild, indem sie ihre Erinnerungen publizierten. Und einige derjenigen Frauen, die an Kinderrettungsaktionen beteiligt waren, stimmten den Historikern sogar implizit zu, indem sie mir erklärten: „Aber wir haben doch gar keinen Widerstand geleistet. Wir haben uns nur um die Kinder gekümmert, und das war doch selbstverständlich. Wir konnten ja nicht zulassen, dass sie deportiert wurden.“

Sie hatten die bis vor kurzem und zum Teil noch immer verbindliche Hierarchisierung des Widerstands in einen „aktiven“ – das heißt militärischen - und einen „passiven“ –worunter alles andere fällt – selbst verinnerlicht. Diese Hierarchisierung ist einer der wichtigsten Gründe für die Ausgrenzung der Frauen aus der Erforschung und Darstellung des Widerstands gegen die deutsche Besatzung und Vernichtungspolitik. Diese völlig realitätsferne Kategorisierung erweist sich insgesamt in der Erforschung der Bedingungen, der Abläufe und Inhalte des jüdischen Widerstands als unproduktiv und hinderlich. Als sehr viel hilfreicher und dem Forschungsgegenstand angemessener empfehle ich daher, das Begriffspaar "aktiv" und "passiv" durch die Termini bewaffneter, humanitärer, materieller und politischer Widerstand zu ersetzen. Und von einer Hierarchisierung dieser häufig mit einander verflochtenen Aspekte abzusehen.

II
Wertschätzung des Konkreten

Jüdische Frauen betätigten sich in allen Formationen und in allen Formen des Widerstands. Sie waren Aktivistinnen städtischer Kampfgruppen, des Ghettountergrunds und von Partisaneneinheiten. Sie druckten und verteilten die illegale Presse; sie fälschten Papiere; sie transportierten Waffen und nahmen selbst an bewaffneten Aktionen teil. Sie organisierten Untergrundbewegungen und Ghettoaufstände; sie waren politisch Verantwortliche und - selten - auch militärische Kommandantinnen bewaffneter Formationen. Sie suchten Verstecke für jüdische Kinder und Jugendliche, brachten sie in diese Verstecke, versorgten sie über Monate und manchmal Jahre mit Kleidung, Geld und Lebensmitteln, mit falschen Papieren und Zuspruch. Sie brachten Gruppen von Kindern und Jugendlichen an die Schweizer Grenze, um sie außer Landes zu schmuggeln, und sie begleiteten illegale Transporte von Jungen und Mädchen über die Pyrenäen nach Spanien und von dort weiter nach Palästina.

Im Rahmen des bewaffneten Widerstands waren der Verbindungs- und Kundschafterdienst die Domäne der Frauen. Ein wichtiger Grund für diese Aufgabenteilung lag in der Tatsache, dass Frauen sich freier und unauffälliger bewegen konnten. Sie wurden seltener kontrolliert als Männer, und es gelang ihnen sogar, geschlechtsspezifische Verhaltensmuster beim Gegner aktiv zu nutzen. So ließen sich Kurierinnen des Widerstands gelegentlich den Koffer voller Waffen von einem deutschen Offizier im Gepäcknetz des Zuges verstauen oder durch eine Razzia auf dem Bahnhof schleppen. Andere Frauen nutzten ihre Schwangerschaft oder Mutterschaft als Tarnung, banden sich Pistolen um den Bauch und transportierten illegale Schriften im Kinderwagen.

Die Verbindungsfrauen sorgten für die illegalen Unterkünfte, die Ernährung und die Kleidung der Gruppenmitglieder. Sie hielten den Kontakt zwischen den Kommandanten und der Gruppe und zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern aufrecht. Sie kundschafteten Anschlagsziele aus und observierten potentielle Anschlagsopfer. Sie beschafften Waffen und Sprengstoff und transportierten sie zum Ort des Anschlags. Ohne sie hätten die bewaffneten Gruppen ihre Aktionen nicht durchführen können.

Wie der Verbindungsdienst waren auch die Kinderrettungsaktionen vor allem Aufgabe der Frauen. Es waren meist sehr junge Frauen und häufig Sozialarbeiterinnen, Kindergärtnerinnen, Angehörige der jüdischen Pfadfinder oder einer zionistischen Jugendbewegung. Sie übernahmen ohne jede einschlägige Erfahrung eine Arbeit, die so verantwortungsvoll wie gefährlich war, und die einige von ihnen das Leben kostete. Sie brachten Kinder und Jugendliche außer Landes oder versteckten sie in Klöstern, Internaten, Ferienkolonien, Sanatorien, und bei Privatpersonen. Sie legten codierte Listen an, um die Kinder nach der Befreiung wiederfinden zu können. Sie kümmerten sich, soweit es ihnen unter den gegebenen Umständen möglich war, nicht nur um die Sicherheit und um das leibliche, sondern auch um das seelische Wohl ihrer versteckten Schützlinge. Sie transportierten Briefe zwischen den Kindern und deren Eltern hin und her; sie dachten sich Geschichten aus, wenn von den Eltern keine Briefe mehr kamen, weil sie deportiert worden waren. Und sie wussten, dass sie trotz all ihrer Anstrengungen dem Kind seine Verlassenheit, seine Einsamkeit, seine Ängste und Zweifel nicht nehmen konnten.

Einige dieser Frauen riskierten ihr Leben nicht nur, sondern opferten es bewusst für ihre Schützlinge. Marianne Cohn zum Beispiel war wenige Wochen vor der Befreiung, zusammen mit Kindern, die sie an die französisch-schweizerische Grenze brachte, verhaftet worden. Der Widerstand bot ihr an, sie aus dem Gefängnis zu befreien. Sie lehnte dies ab, obwohl sie grausam gefoltert wurde. Sie wollte das Leben der Kinder nicht riskieren. Sie ging, vermutlich zu Recht, davon aus, dass man sie aus Rache für ihre Flucht ermorden würde. Und sie hoffte, dass die Alliierten den Ort befreiten, bevor man die Kinder deportieren konnte. Das geschah tatsächlich, doch sie selbst wurde vorher vergewaltigt und zu Tode geprügelt.

Der Weg in den Widerstand führte für die meisten Frauen (und auch Männer) über die Mitgliedschaft in einer sozialen oder politischen Gruppe. Wer nicht bereits organisiert war, oder sich zumindest im Umfeld einer Organisation bewegte, fand nur schwer einen Zugang zu den Widerstandsgruppen, die sich abschotten mussten, um sich vor Infiltrierung und Entdeckung zu schützen.

Es schlossen sich jedoch nicht alle Mitglieder einer politischen oder sozialen Organisation dem Widerstand an. Warum einige es taten und andere nicht, ist heute schwer zu rekonstruieren. Die Erinnerungen der Frauen sind, was die Frage nach ihren Motiven betrifft, beeinflusst von den Emotionen und Erfahrungen der Jahrzehnte, die zwischen ihrer Jugend und der Gegenwart liegen. Ehemalige Kommunistinnen etwa, die sich nach dem Krieg von der Partei ab und ihren jüdischen Wurzeln zuwandten, neigen dazu, ihre Motive nachträglich als spezifisch jüdische zu betrachten. Andere, die treue Parteimitglieder blieben, bestehen darauf, sie hätten ausschließlich als Kommunistinnen gekämpft und nicht als Jüdinnen. Mehrere Frauen sagen allerdings, bei ihnen hätten sich beide Faktoren mit einander vermischt. Ida Rubinstein zum Beispiel, die als jüdisch-kommunistische Partisanin in Toulouse kämpfte, meint: "Ich bin aus rein politischen Gründen in die Résistance eingetreten. Aber da ich Jüdin bin, hatte ich sicher eine doppelte Motivation." Überlebende des jüdisch-kommunistischen Widerstandes in Frankreich verweisen auch darauf, dass die jungen Frauen und Männer, die den ersten großen Razzien in Paris im Juli 1942 entkommen konnten, deren Eltern und Geschwister aber festgenommen und deportiert wurden, aus dieser Erfahrung heraus in den Widerstand gingen.

Die Frauen, die für eine soziale oder pädagogische Einrichtung arbeiteten, gerieten über ihren Beruf in eine Situation, in der sich Sozialarbeit beziehungsweise Kinderbetreuung in Widerstand verwandelten. Auch die jungen Frauen, die in Westeuropa in der zionistischen Jugend oder bei den jüdischen Pfadfindern aktiv waren, wuchsen quasi natürlich in ihre Widerstandsarbeit hinein, ohne dass sie, zumindest anfangs, eine bewusste Entscheidung trafen. Denise Lévy zum Beispiel, eine der Leiterinnen der jüdischen Pfadfinder, wurde eines Tages informiert, dass eine Razzia unter ihren ausländischen Schützlingen bevorstand, und musste auf der Stelle Verstecke für sie finden. Die Versteckten wiederum konnten auf Dauer nicht ohne falsche Papiere existieren, also begann sie, falsche Papiere herzustellen. So führte eines zum anderen. Nach ihren Motiven befragt, sagt Denise Lévy: "Wir konnten nicht zulassen, dass die Kinder verhaftet wurden. Verhaftet werden, das hieß deportiert werden. Wir wussten damals nicht genau, was mit den Deportierten geschah, aber allein schon deportiert zu werden reichte doch. Wir wollten das unbedingt verhindern."

Fragt man zionistische Aktivistinnen, die in Polen gekämpft hatten, nach ihren Motiven, antworten sie meistens, sie hätten nicht in der Gaskammer enden, sie hätten etwas tun, sich wehren, die Ermordeten rächen wollen. All diese Gründe bewegten sie jedoch erst nach den ersten großen Liquidierungsaktionen, erst, als ihnen bewusst wurde, dass die Deutschen tatsächlich das gesamte jüdische Volk vernichten würden. Davor liegt der Zeitraum zwischen dem Einmarsch der Deutschen, der Ghettoisierung und der Liquidierung der ersten Ghettos. Die Grundsteine zum Aufbau einer Untergrundbewegung wurden in diesem Zeitraum gelegt, die jungen Frauen, die später in den Ghettoaufständen und bei den Partisanen kämpften, entschieden sich bereits damals, illegal zu arbeiten. Die Gründe dafür sind ihnen jedoch heute nicht mehr bewusst oder einfach nicht mehr wichtig. Es gibt für sie eine Zeitrechnung ante und post: Die Hölle, in der sie nach dem Beginn der "Endlösung" lebten und handelten, überlagert fast alles, was vorher war.

Viele der von mir befragten ehemaligen jüdischen Verbindungsfrauen betonen, dass für den Erfolg ihrer Arbeit eine Mischung aus Schlagfertigkeit und Instinkt entscheidend war. Sarah Goldberg erinnert sich an eine Situation, in der sie "aus der Panik heraus" das Richtige tat, obwohl es auch ihr selbst im Nachhinein unverständlich blieb, wie sie auf die Idee gekommen war, sich derart zu verhalten: Während sie einen Auftrag für ihre Gruppe der jüdischen Partisanen in Brüssel durchführte, bemerkte sie, dass ihr vom anderen Ende der Straße her ein bekannter Denunziant entgegenkam: "Vor mir gingen zwei belgische Polizisten. Ich sagte zu den beiden: 'Gehen Sie bitte weiter`, und drängelte mich zwischen sie. Sie wollten wissen, was los war, und ich sagte: 'Bitte gehen Sie einfach so weiter` - als wäre ich von ihnen verhaftet worden. Sie wollten aber immer noch wissen, was war, da sagte ich: 'Hören Sie, ich bin Jüdin, und da vorne kommt ein Denunziant.` Da nahmen mich die beiden in ihre Mitte und gingen so mit mir an dem Mann vorbei. Als die Gefahr vorüber war, sagte der eine, er gehe jetzt in die Mittagspause, und der andere sagte, 'Mademoiselle, wenn Sie je etwas brauchen, wenden Sie sich an mich, ich arbeite im Kommissariat von Foret." Diese Geschichte macht nicht nur deutlich, dass Teile der belgischen Polizei mit dem Widerstand sympathisierten oder zumindest gegen die antijüdische Politik der Deutschen eingestellt waren. Sie zeigt auch, dass eine disziplinierte, erfahrene und umsichtige Illegale wie Sarah Goldberg in diesem Fall "funktionierte", ohne nachzudenken.

Woher diese Fähigkeit kam, kann sie nicht erklären. Sie und andere Frauen, die sich gleichfalls erinnern, vor allem in scheinbar ausweglosen Situationen spontan und instinktiv reagiert zu haben, stimmten jedoch der Vermutung zu, dass es sich hier möglicherweise um eine Verhaltensweise handelt, die bei Frauen häufiger als bei Männern vorkam. Wobei zu bedenken wäre, dass ein Verhalten, wie das von Sarah Goldberg beschriebene bei einem Mann vermutlich nicht funktioniert hätte: Die Polizisten hätten auf eine vergleichbare Bitte eines Mannes möglicherweise ablehnend oder aggressiv reagiert. Das intuitive Verhalten der Frauen korrespondierte wahrscheinlich häufig einem unbewussten Beschützerinstinkt des entsprechenden Mannes oder seinem Bedürfnis, die hübsche junge Frau zu beeindrucken.
Diese geschlechtsspezifischen Reaktionsweisen nutzten die jüdischen Kurierinnen gelegentlich bewusst für ihre Arbeit. Anny Latour erzählt in ihrem Buch über den jüdischen Widerstand in Frankreich eine typische Geschichte über die legendäre Dreistigkeit von Betty Knout, der 16jährigen Kurierin der Armée Juive: Sie war, wie häufig, mit zwei Koffern voller Waffen unterwegs. Die Eisenbahnbrücke über die Loire war zerstört, um nach Paris zu gelangen, musste man am Loireufer aus dem Zug steigen, zu Fuß über eine andere Brücke den Fluss überqueren und am gegenüberliegenden Ufer einen anderen Zug nehmen. Ein deutscher Offizier sah, wie sich das zierliche junge Mädchen mit den zwei Koffern abschleppte und bot an, sie ihr zu tragen. Als er sie hoch hob, staunte er über das enorme Gewicht und fragte Betty Knout, was sie denn da drin habe? Butter? Käse? Schinken? Sie lächelte ihn verschwörerisch an und sagte: "Pst! Es sind Maschinenpistolen." Worauf der deutsche Offizier in schallendes Gelächter ausbrach und vergnügt die beiden Koffer der amüsanten jungen Dame ans andere Loire-Ufer und in den dort wartenden Zug schleppte.

Die Keckheit dieser jungen Frauen, die im Widerstand ihre ersten Erfahrungen mit der Illegalität machten, erstaunt weniger, als die Instinktreaktionen erfahrener kommunistischer Militanter wie Sarah Goldberg und Yvonne Jospa, die sich gleichfalls an eine "verrückte" Begebenheit erinnert, die sie logisch nicht erklären kann: Sie erfuhr, dass die Möglichkeit bestand, eine größere Gruppe jüdischer Kinder in einer Ferienkolonie unterzubringen. Dafür musste sie zu einem bestimmten Zeitpunkt auf einem der Brüsseler Bahnhöfe, der Gare du Luxemburg, die Gruppe übernehmen. Als sie diese Nachricht bekam, war es bereits zu spät, um noch rechtzeitig anzukommen. Yvonne Jospa stieg dennoch in die Straßenbahn. Sie ging nach vorne zum Fahrer und sagte: "Monsieur, ich muss um so und so viel Uhr an der Gare du Luxemburg sein." Der Fahrer beschleunigte die Fahrt und hielt an keiner der folgenden Haltestellen an, bis sie - rechtzeitig - am Bahnhof landeten. "Ich weiss nicht, warum ich so gehandelt habe und ich weiss nicht, warum er so darauf reagiert hat", sagt Yvonne Jospa, "wir sind vermutlich beide einem Instinkt gefolgt. Er wusste sofort, dass ich kein normaler Fahrgast war, der es nur eilig hatte. Und ich wusste offenbar unbewusst, dass ich mich an ihn wenden konnte. Aber warum das so war, kann ich nicht sagen."

Die polnisch-jüdische Widerstandskämpferin Chaika Grossman wiederum erinnert sich an eine dem reinen Gefühl gehorchende Reaktion von Vitka Kempner: Die erzählte ihrer Zimmerwirtin in Wilna, dass sie und ihre Freundinnen in Wahrheit Jüdinnen waren: Sie wollte die Frau, die ihr sympathisch war, "nicht länger zum Narren halten". Ein riskantes Unterfangen, das sich jedoch als richtig erwies. Die Vermieterin schätzte das ihr entgegengebrachte Vertrauen und half künftig den jungen Verbindungsfrauen des jüdischen Widerstands bei ihrer Arbeit.

Interessant an diesen Erfahrungen ist weniger, dass die Frauen über das, was sie in Ermangelung einer anderen Erklärung einhellig "Instinkt" nennen, verfügten, als die Tatsache, dass sie sich erlaubten, diesem Instinkt nachzugeben. Ein solches "unlogisches" und "emotionales" Verhalten steht in Kontrast zu der auch von ihnen selbst anerkannten Notwendigkeit revolutionärer Disziplin und Selbstbeherrschung. Dass sie sich erlaubten, Gefühlsregungen, "Instinkten", "Eingebungen" zu folgen, entspricht ihrem Abweichen von den Regeln der Konspirativität auch in anderen Zusammenhängen. Sie trafen sich mit Freundinnen und Genossen, obwohl dies streng verboten war, sie versorgten und besuchten ihre versteckten Eltern, obwohl auch das häufig den Sicherheitsregeln widersprach, sie gingen selten, aber doch gelegentlich heimlich ins Kino, sie ließen sogar, wenn ihnen das richtig erschien, eine Anweisung der Leitung, die sie übermitteln sollten, "unter den Tisch fallen". Sie praktizierten, was "Nicole" die "Illegalität in der Illegalität" nennt. Ich vermute, das gerade diese gelegentliche, nie generelle, sondern situationsbezogene "Disziplinlosigkeit" ihnen eine innere Freiheit in einer unfreien Situation bewahrte, dass der gelegentliche Bruch mit starren, wenn auch von ihnen selbst geteilten, Prinzipien sie befähigte, unter den Bedingungen des Massenmords Widerstand gegen einen in extremis unmenschlichen Gegner zu leisten, ohne selbst unmenschlich zu werden.

Die "Moral des Widerstands" bestand für viele Aktivistinnen und Aktivisten darin, ihre humanitären Prinzipien nicht vollständig der Effizienz zu opfern, "nicht zu werden wie der Gegner". Chaika Grossman berichtet von einer heftigen Diskussion unter den "Mejdalach", der rein weiblichen jüdischen Untergrundgruppe in Bialystok. Es ging in dieser Debatte darum, ob sie mit Hilfe der Partisanen einen Bombenangriff in einem Wohnviertel durchführen sollten, in dem fast ausschließlich Angehörige des deutschen Sicherheitsapparates mit ihren Familien lebten. Sie lehnten die Aktion schließlich ab mit der Begründung: Es würden dabei nicht nur Gestapo- und SS-Männer getötet, sondern auch deren Frauen und Kinder.

Die etwas älteren und politisch oder pädagogisch erfahrenen jüdischen Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer waren sich auch der Gefahr bewusst, dass die jüngeren in diesem Krieg verrohen und ihre Ideale verlieren konnten. Meist gab es nur wenige Möglichkeiten, während des Krieges gezielt dagegen zu wirken. Rachel Cheigham berichtet, dass ihre Kampfgruppe der Armée Juive in Nizza, die Attentate gegen Denunzianten durchführte, regelmäßige Treffen mit ihren Mitgliedern abhielt, um die sehr jungen Frauen und Männer moralisch zu festigen: "Sie waren noch so jung, und sie mussten töten. Das ist nicht einfach, jemanden zu töten. Und es lässt einen selbst nicht ungeschoren. Wir wollten nicht, dass sie zu Kriminellen würden."