Camouflage

1. Camouflage:

Die Kunst der Tarnung, Verkleidung und Verstellung
Der Begriff der Tarnung impliziert allgemein, dass ein Individuum (Soldat) oder eine Sache (Panzer) zu einem bestimmten Zeitpunkt (im Kampf) so verändert erscheint – sich als etwas Anderes (Landschaft, Wald) ausgibt –, dass es in seinem Erscheinungskontext nicht mehr oder kaum in seiner Essenz als das authentisch Andere (Bedrohende) zu erkennen ist oder sich unauffällig verhält. Dieser bestimmte Zeitpunkt ist vor allem in einer Ausnahmesituation gegeben, weshalb die Camouflage dem Thema Krieg zugeordnet wird. Der Kulturwissenschaftler Hillel Schwartz entwickelt die Geschichte der Camouflage aus dem Trompe-l’œil, der im 19. Jahrhundert maltechnisch erzeugten Augentäuschung, der Militärgeschichte im WK I. und der Naturbeobachtung. Bezeichnend ist, dass die Camouflage mit einem neuen optischen Paradigma im WK I entsteht – Schützengraben, Luftaufklärung, U-Bootkrieg –, was Formen der Tarnung notwendig macht und sich mit diesen Techniken auch verändert bis hin zu heutigen Stealth-Flugzeugen, die für das Radar fast unsichtbar bleiben.

Der Unterschied zu Formen der Mimikry bei Pflanzen und Tieren besteht darin, dass der Mensch sich nicht nur durch Verkleidung sondern auch durch Sprache täuschend verhalten kann wie ein Agent. Mit dem Begriff des »Camouflierens« bezeichnet man, wenn beispielsweise Politiker bestimmte Sachverhalte verändert wiedergeben oder Manager die Unternehmensbilanz positiver darstellen als sie tatsächlich ist.

Falsche Objekte oder Dokumente wie beispielsweise Pässe oder Visa gehören zwar zum oft lebensrettenden Standardrepertoire der Verstellung, werden aber den Methoden der Fälschung zugerechnet und beziehen einen komplexeren Vorgang ein, der über einen optischen Effekt hinausgeht. Auch verhalf in der NS-Zeit die äußerliche Angleichung an einen völkisch-reaktionären Layout-Stil kommunistischen und libertären Untergrundschriften zur getarnten Zirkulation. Kombinationen von Verkleidung und Verstellung können zu weit reichenden Konsequenzen führen wie etwa der inszenierte Angriff auf den Sender Gleiwitz von Hitlers eigenen Soldaten, die mit polnischen Uniformen verkleidet waren. So besorgte Hitler sich selbst den Grund, Polen zu überfallen, was ihm in der Rhetorik des Krieges die Legitimation für den Beginn des WK II lieferte. Man könnte diesen Vorgang als List bezeichnen, doch scheint mir der Begriff der »List« zu positiv besetzt, um ihn auf den Anfang von Hitlers irrsinnigem Krieg zu beziehen.

Bereits hier zeigt sich eine schwer beherrschbare Komplexität: Offensichtlich lassen sich mit der Camouflage die Felder der Moral, der Rhetorik, der Schauspielkunst, der Geste und Attitüde mit der Politik der Performanz verbinden.

Die Verfahrensweisen der Camouflage, der Tarnung oder der Verstellung verstehe ich als kulturelle Techniken, die intentional auf einen bestimmten Zeitpunkt kalkuliert sind, nämlich das In-Aktion-treten, das nicht mit dem Aufgeben der Tarnung identisch sein muss, und dem Effekt, der aus der Tarnung resultiert. Enthält das, was verstellt und verkleidet wird, eine authentische Essenz? Und: Inwiefern unterliegt dies einer institutionellen Kontrolle? Oft geht es gerade der Camouflage darum, den institutionellen Kontext zu vertuschen, da sie einem militärischen Dispositiv zuzuordnen ist. Ob diese Methode dabei einem offiziellen oder einem subversiven Auftrag folgt, ist meist nicht aus der Performanz – das heißt dem Fortschreiten einer gezielten Handlung in einer bestimmten Zeit mit einem beabsichtigten Effekt – selbst zu erkennen. Dazu stelle ich im Folgenden einige Spekulationen an.

2. Schluss mit der Verstellung: »Jetzt heißt es Flagge zeigen«

In Deutschland konnte man jetzt gerade während der Fußball-WM 2006 eine in der Bundesrepublik in diesem Ausmaß ungewohnte Erscheinung wahrnehmen, nämlich die Bereitschaft zum Nationalflaggezeigen. Damit verbanden sich offenbar zwei unterschiedliche Intentionen, die der Freude, dass man wieder stolz sein könne, ein Deutscher zu sein, und die Freude, an einer großen Party teilnehmen zu können, wie sie vor allem von türkischstämmigen Deutschen demonstriert wurden. Das nationalistische Bekenntnis zur deutschen Nation ist dabei nicht mit dem eventistischen Feiern um des Feierns willen in der Spaßgesellschaft identisch. Eine dritte unbeflaggte Intention lässt mich selbst an diesen Veranstaltungen teilnehmen, wenn ich als Fotograf diese Szenerie aufnehme; ich ordne mich hier einer voyeuristischen und analytischen Intention zu.

Mit dem Flaggezeigen ist immer ein Akt des Bekennens gemeint. Das Subjekt des Bekennens ordnet sich mittels einer bestimmten symbolischen Handlung einem unmissverständlichen Sachverhalt zu, der zumeist eine Nationenzugehörigkeit darstellt. So vollzieht sich eine signalhafte Selbstidentifizierung, die einen Appell an den Kommunikationspartner richtet: Man soll sich dazu bekennen, dann wird man aufgenommen, oder man zeigt sich kritisch bis ablehnend, dann wird man ausgeschlossen. Das Flaggezeigen kann demnach vor allem auch als eine Geste des Ein- oder Unterordnens verstanden werden in einem fremdbestimmten Kontext. Das Flaggezeigen ist jedoch auch eine konformistische Geste. Ich würde sogar so weit gehen, die Nationalflagge heute als eine leere Fläche – als Leerstelle – zu verstehen, auf die unterschiedlichste Inhalten projiziert werden können. Das Flaggezeigen ist zu einer standardisierten Meinungsäußerung in den mittlerweile tendenziell privatisierten und korporatisierten Öffentlichkeiten geworden. Wenn es darum geht, einen komplexen Zusammenhang mit einem einfachen Symbol zu bekunden, bildet oft die Nationalflagge als Symbol nationaler Identität die Schnittmenge.

Das Flaggezeigen steht auf den ersten Blick in einem paradoxen Verhältnis zur Camouflage. Wird mit der Redewendung des Flaggezeigens auch eine institutionell situationsbezogene Schaffung von Klarheit bekundet – beispielsweise im Sinne von: »Nun sprechen wir Klartext« –, so ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass gerade diese Situation es erlaubt, mit dem standardisierten Zeichengeben, ein Täuschungsmanöver zu vollziehen: Man bekennt sich scheinhaft zu einer bestimmten Meinung, um das Gegenüber zu einer Aussage zu verleiten. Besonders im Krieg und der Politik dient der Bruch solcher Symbolstandards der Erlangung eines strategischen Vorteils.
Die Tarnung des eigenen Vorhabens mittels der Affirmation der herrschenden Sprache oder des visuellen Kontexts ist als ein mimetischer Prozess zu verstehen, der dem selben Dispositiv wie dem des Flaggezeigens zuzuordnen ist: dem einer institutionellen Repräsentation (Nation, Party). Ohne diese auf der Mimikry basierenden Verfahrensweisen des Flaggezeigens, der Camouflage, der Täuschung, der Nachrichtencodierung oder der Falschinformation ist Krieg und Politik nicht denkbar. Der israelische Kriegstheoretiker Martin von Crefeld geht soweit, den Krieg als »diejenige menschliche Tätigkeit« anzusehen, »bei der die Nachahmung die größte Rolle spielt«.

Über den Krieg zu sprechen, erscheint mir im erkenntnistheoretischen Rahmen des Bellizismus, wie er von Medientheoretikern wie Friedrich Kittler oder Paul Virillio zur Praxis des »der-Krieg-ist-die-Mutter-aller-Künste« gemacht wird, keineswegs als anstrebenswerte Beschäftigung. Doch sehe ich mich als Kulturproduzent dadurch, dass die Sprache des Krieges spätestens seit New Yorks 9/11 zur hegemonialen Kultur geworden ist, damit konfrontiert, weil man überall mit Äußerungen dieser Rhetorik konfrontiert ist, sei es kulturell verbaler Art oder seien es handfeste Eingriffe ins Leben durch institutionell hysterisch gesteigerte Kontrollen in jedem Bereich. Mit den beiden Kulturtheoretikern Tom Holert und Mark Terkessidis lässt sich die mediale Kommunikation in der Gesellschaft als dermaßen kriegsmetaphorisch durchsetzt auffassen, dass dies zu einer permanenten Promotion des Ausnahmezustands führt: »Der Krieg als Massenkultur suggeriert einen permanenten Ausnahmezustand, mit dem man im Rahmen des legalen Systems scheinbar nicht mehr adäquat umgehen kann.« Und darüber hinaus ist der ganz normale, alltägliche Wettbewerbszustand des »[…] Neoliberalismus […] selbst eine Praxis und Ideologie des Krieges. Denn wenn der Markt zum Naturzustand verklärt wird, dann soll sich die Gesellschaft ganz im Hobbes’schen Sinne des Begriffs in den wirtschaftlichen Überlebenskampf, den ›Krieg aller gegen alle‹ stürzen.«

In diesem Kontext sind auch die Kriegstaktiken der Camouflage und des Flaggezeigens zu Alltagspraktiken geworden: Das Tragen von Camouflage-Mode und das Make-up kann im ganz normalen kriegerischen Alltagsgeschäft wahlweise Tarnung versprechen oder Teilzeit-Identität stiften; besonders symptomatisch scheint mir das Phänomen des abwaschbaren Tatoos zu sein, mit dem man sich für die Zeit seiner Haltbarkeit eine andere Identität gibt. Das Flaggezeigen folgt einer institutionellen Strategie (Nation, Party); erst wenn die Piratenflagge gezeigt wird, handelt es sich um eine subversive Taktik, selbst wenn dies im Auftrag einer Nation (Freibeuter) oder Corporation (beauftragte Hacker) geschieht.

3. Die Kunst, mit Camouflage Flagge zu zeigen

Beide Vorgehensweisen – die Camouflage sowie das Flaggezeigen – leiten sich vom Begriff der Nachahmung ab, die als das Grundmotiv traditioneller Kunst gilt: »Mimesis bedeutet die Herstellung eines Scheins. Die künstlerische Darstellung ist jedoch nicht der Schein des Seins oder des Seienden, sondern der Schein eines Erscheinenden.«
Insofern die visuelle Erscheinung sowohl der Camouflage als auch des Flaggezeigens nur innerhalb eines eindeutigen Referenzsystems zu verstehen ist, können beide als eine strategische Projektion von Identität verstanden werden, denen aber jeweils unterschiedliche Handlungsmuster und Intentionen zueigen sind: Die Performanz der Camouflage dient zunächst der Identitätstarnung, um die Möglichkeit einer anschließenden Handlung zu implizieren; während das Flaggezeigen eine Identität heraufbeschwört, um eine ähnliche Handlung beim Gegenüber zu bewirken.

Wendet den folgenden Satz des Kulturanthropologen Michael Taussig –»Das Bild ist mächtiger als der Gegenstand, den es abbildet.« – darauf an, dann kann für die beiden Identitätstechniken die Referenz auf einen eigenen Machtpol konstatiert werden. Da, wie Gebauer und Wulf sowie Taussig meinen, »der Schein eines Erscheinenden« und »das Bild« mächtiger sind als das, was abgebildet wird, scheint das Abgebildete keine authentische Essenz zu besitzen, die sich camoufliert oder die Flagge zeigt. Man muss nach der Funktion suchen, die dieses Verhältnis zwischen einer Methode selbst des Zeichengebens oder des Verhinderns eines Zeichens und der Methode in ihrem Erscheinungskontext ausmacht.

Nicht der Souverän, der eine Identität verleiht, sondern der Handlungsweise desjenigen, der eine solche Methode einsetzt, wäre demnach das Entscheidende in diesem Referenzverhältnis. Die Macht der Repräsentation hat von der Monarchie über den Nationalstaat ihr Signifikat als monolithisch verteidigt. Die Verfahrensweisen der Camouflage und des Flaggezeigens standen jeweils im Dienst einer bestimmten Ethik, die im platonischen Sinn davon ausgeht, dass sich eine ursprüngliche oder originale individuelle oder staatliche Essenz hinter der Camouflage und dem Flaggezeigen verbirgt.

Nun möchte ich gewagter Weise fragen, ob eine solche Ethik nicht spätestens angesichts der neuen Konzeption von »empiraler« Macht in Antonio Negris und Michael Hardts Konstruktion jeglichen eindeutig repräsentativen Bezugspunkt verloren hat; heute spricht man im Pentagon nicht mehr von »Manipulation«, sondern von »psychologischen Operationen« (Psyop), mit denen globale Meinungsbilder oder gar Verhaltensweisen durchgesetzt werden. In der tertiären Ökonomie des herrschenden Neoliberalismus wird die industrielle Produktion von der Repräsentation relativiert, dabei erhalten symbolische Tauschprozesse zur Generierung von Kapital eine starke Aufwertung. Camouflierende Handlungen gelten in der gegenwärtig globalisierten Politik der Public Relations als korporativem Flaggezeigen oft – im wahrsten Sinne des Wortes – als wertvoller als die tatsächlichen Produktionszahlen und Gewinne. Werden diese Strategien jedoch nicht durch eine staatlich-korporative Ethik abgedeckt, können sie später leicht auch als Betrug verurteilt werden, falls sich überhaupt eine Instanz der Verurteilung findet. Die Protagonisten dieser Verhältnisse äußern sich, wenn sie Vergehen angeklagt werden, erst nach Rücksprache mit ihren Sponsoren oder diese übernehmen direkt die öffentliche Kommunikation. Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl äußerte sich – der Veruntreuung angeklagt –erst gar nicht zu den Vorwürfen. Dagegen unterzeichnete sein Nachfolger, Gerhard Schröder, bereits als Kanzler abgewählt, Beraterverträge mit großen Firmen, und zeigte somit korporative Flagge.

In diesem kulturellen Feld bewegen sich Praktiken der zeitgenössischen Kunst, wenn sie sich mittels eines Werkbegriffs auf die Kombination von repräsentativer Strategie und mimetischen Prozessen berufen, die durch das symbolische System der Institution Kunst eine Wertschöpfung erfahren. Die Ideologie des Systems Kunst ist ein Gewinnversprechen, das die Allianz aus KünstlerIn, Galerie, Museum und SammlerIn zu projizieren vermag. In diesem Sinn entschließt sich Andy Warhol zu seinem letzten großen Malereizyklus: den Camouflage-Paintings (1986). Hiermit erreichte er, was er schon immer wollte, nämlich abstrakte Bilder malen, die trotzdem eine konkrete Referenz auf ein Vorbild – das Thema der militärischen Camouflage – herstellen.

Im Sinne des Wechsels zwischen Camouflage und Flaggezeigen kommen seit den 1990er Jahren verstärkt künstlerische Praktiken in dieses Feld der Kunst, die politische Themen mit künstlerischen Gesten vortragen: Themen der ökonomischen Exklusion, des kritischen Urbanismus oder Gender-, Sex- und Queer-Strategien ebenso wie politisch-historische Repräsentationsfragen werden positioniert. Diesen KünstlerInnen, die im Feld der Kunst traditionelle Ausstellungsformate überwunden haben oder sie camouflierend einsetzen, wird mit dem Vorurteil geantwortet, dass sie doch gleich als Journalisten oder Politiker arbeiten sollten. Interessanterweise liegt einem solchen Vorwurf die Ansicht zu Grunde, dass es sich bei Kunst nicht um eine politische Äußerung handelt. Offensichtlich gesteht diese Kritik den Politikern, die keine Flagge zeigen, mehr künstlerischen Freiraum zu als KünstlerInnen.

Hier schließe ich mit der Frage an, ob das, was verstellt und verkleidet, eine institutionell authentische Essenz darstellen kann. Oder ist nicht die Möglichkeit einer solchen Essenz ein Produkt, das auf einem grundsätzlichen Einverständnis mit dem repräsentativen System innerhalb der Kulturindustrie, dem Spektakel oder dem Spiel der Haupt- und Nebenwidersprüche basiert? Die genannten politischen verhaltensweisen versuchen nicht einmal mehr ein institutionelles Wahrheitsparadigma aufrechtzuerhalten, das sich einer stattlichen Moralrepräsentation unterordnet, sondern gerieren sich wie die Mode, die keine eindeutige Codierung transportiert. Einer Aussage entleert, überlassen sie ihre Identität einem Spiel der Interpretation und stellen sich damit in den Dienst des neoliberalen Kontexts. Somit projizieren die Methoden der Camouflage und des Flaggezeigens die Performanz eines Subjekts, sie erzeugen eine Identität.

4. Der andere Zielhafen: Libertalia

Die Intensitäten und die Kräfte, die vom Flaggezeigen ausgehen, basieren ganz und gar auf dem Willen zur Mimesis, dem Willen zum Identischwerden mit einer Handlung, die nun von der Referenz auf die Nation abgeschnitten werden muss. Die Camouflage basiert – wie ich gezeigt habe – auf dem gleichen Prozess, nur in einer umgekehrten institutionellen Performanz, dem das Flaggezeigen implizit vorgängig oder nachläufig sein kann: Es wird bspw. so lange die falsche Flagge gezeigt, um nicht aufzufallen, bis das Gegenüber eine Handlung vollzieht im Sinne einer temporären Identität.

Wird dann die Piratenflagge gezeigt, verbindet sich mit ihr ein Schock. Je besser man sich in diesem ästhetischen – oder genauer: visuell-epistemischen – Prozess der Selbstdefinition einer libertären Erkenntnis anpasst, desto mehr bringt die im Reproduktionsprozess der Camouflage oder des Flaggezeigens erzeugte Differenz eine Intensität hervor, die es ermöglicht, unter einer eigenen Flagge in ein anderes, ganz anderes Land zu segeln.

Die Flagge, die man zeigt, ist die Piratenflagge, und nur wenige wissen, wie sie wirklich aussieht (einem Totenkopf-Banner kann es nicht ohne weiteres entsprechen, da dieser auch von der politischen SS im Nazi-Deutschland benutzt wurde).

Doch noch viel weniger wissen wir, wie dieses andere Land aussieht, das keine Nation bildet, das keine Identität vorgibt noch festschreibt, das keine Geschlechter vordefiniert, das nur durch den Zusammenschluss frei gewordener Individuen existiert, das keine Praxis der Ideologisierung akzeptiert, das frei von ethnischen oder biopolitischen Affekten ist... – you name it.

Auf dieses Land, das einige »Libertalia« nannten, ohne es auf einer gültigen Karte zeigen zu können, beziehe ich mich spekulativ, wenn ich die Definition aus dem Griechisch-Wörterbuch zitiere:
»peirates: Seeräuber; von peiráomai: versuchen, sich daranmachen, sich bemühen, streben, unternehmen, wagen; etwas versuchen oder erproben, prüfen, untersuchen oder ausforschen; sich oder sein Glück in etwas versuchen; einen Angriff wagen; den Kampf mit jemandem aufnehmen; in Versuchung führen; sich um die Gunst von jemandem bemühen; um eine Geliebte werben; aus Erfahrung lernen.«

Interessanterweise endet diese mir sympathische Definition, die einiges benennt, das ich mit der Kunstpraxis assoziiere, bei der Werbung um Liebe und der Erfahrung, aus der man lernt. (Vielleicht ergibt sich hier ein Anschluss zu den Liebenden, die nicht Selbstmord begehen – wie es Irit Rogoff mit Roland Barthes in ihrem Initialtext »Exergue« formuliert hat)

Für Hinweise danke ich Regina Barunke, Clemens Krümmel und Stefan Heidenreich.

[1]Hillel Schwartz, The Culture of the Copy. Striking Likenesses, Unreasonable Facsimiles, MIT Press 1996, S. 175-209.

[2]Die Verstellung des Menschen und ihre moralische Begründung hinsichtlich der Weltklugheit, der »prudentia«, in der Diskussion des 16. und 17. Jahrhunderts wurde in einer Leipziger Dissertation am Anfang des 18. Jahrhunderts erstmals umfassend akademisch behandelt. Vgl. August Buck, Die Kunst der Verstellung im Zeitalter des Barocks, in: Festschrift der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe Universität, Frankfurt/M., Wiesbaden 1981, 85–103.

[3]Vgl. hierzu die Geschichte des Buchs: Walter Benjamin, Deutsche Menschen. Eine Folge von Briefen (1936), Frankfurt/M. 1984.

[4]Nach: vgl. Tom Holert, Mark Terkessidis, Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert, Köln 2002, S. 39.

[5]Beispielsweise meinte der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Michael Glos (CSU): »Wir werden zu Wasser, zu Land und in der Luft für Ausbildungsplätze werben.« (14.7.2006) Damit bezieht er sich kriegsrhetorisch auf die drei Streitkräfte: Marine, Heer und Luftwaffe. Auch werden permanent Kriegsszenarien heraufbeschworenen: Der Ende der 80er Jahre ausgerufene »Krieg gegen die Drogen« wurde nach 9/11 von Präsident Bush zum »Krieg gegen den Terror« und wird gegenwärtig zum »Krieg gegen Pornografie« oder wahlweise auch gegen die »Piraterie« ausgerufen.

[6]Holert, Terkessidis, a. a. O. , S. 16.

[7]Ibid., S. 17.

[8]Vgl. Tom Holert, Zwischen Ästhetisierung und Ikonografie. Zur Faszination bei Kriegsbildern bei Simon Reynolds, Marha Rosler und Wolfgang Tillmans, in: M_ARS. Kunst und Krieg, Neue Galerie Graz, Graz 2003, S. 290-303.

[9]Gunter Gebauer, Christoph Wulf, Mimesis. Kultur, Kunst, Gesellschaft, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 59.

[10]Michael Taussig, Mimesis und Alterität. Eine eigenwillige Geschichte, Hamburg 1997, S. 72.

[11]Vgl. Brenda Richardson, Hiding in Plain Sight: Warhol’s Camouflage, in: Andy Warhol, Camouflage, Gagosian Gallery, New York 1998, S. 11-31.