Niederlage, für die

Das Projekt „Wörterbuch des Krieges“ hat vier Stationen: Frankfurt, München, Graz und Berlin.

Die Orte, in denen über Krieg gesprochen wird, sind Städte in NS-Nachfolgestaaten, mit einer konkreten Geschichte eines verbrecherischen Angriffs- und Vernichtungskrieges, mit einer Geschichte der Industrialisierung des Massenmordes. Mit der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945, mit dem Sieg der Alliierten über die Nazis, endete der Vernichtungskrieg. Es handelt sich also gewissermaßen bei allen vier Standorten des Projekts um Orte nach der Niederlage. Mit diesem Beitrag soll eine geschichtspolitische Perspektive eingenommen werden, die die Niederlage positiv sieht – und zwar im Zusammenhang der Niederlage der deutsch-österreichischen Nazis. Dabei soll danach gefragt werden, welche Konsequenzen aus dieser Niederlage bis heute ausbleiben und welche gezogen werden müssen. Bei dem Postulat „für die Niederlage“ handelt es sich um eine konsequente, aber für die Mehrheit um so schwerere und für viele unmögliche Perspektive der Gegen-Identifikation. Es geht um eine Arbeit an einer geschichtspolitischen Perspektive, die Österreich und Deutschland als NS-Nachfolgestaaten benennt und die Übernahme der damit einhergehenden Konsequenzen fordert. Es handelt sich darüber hinaus um eine Perspektive, die in diesem Zusammenhang davon ausgeht, dass nicht erst die so genannten „neuen Kriege“ keine Kriege im herkömmlichen Sinne sind. Ausgehend von deutschem Territorium führte die Wehrmacht an der Ostfront einen Vernichtungskrieg, der sich offiziell und gezielt gegen die Zivilbevölkerung richtete, dessen erklärtes Ziel es war (wie es in Nazidiktion heisst) „den jüdischen Bolschewismus restlos zu beseitigen“. Auf dem Weg bis Stalingrad wurden von Truppen der SS und unter organisatorischer und realer Mithilfe der Wehrmacht Hunderttausende Juden ermordet.

Das Thema der Begriffsbildungen um den Krieg, stellt sich hier im konkreten Kontext von postnazistischen Gesellschaften: Nach der Niederlage der Nazis ist die Geschichte, die hier geschrieben wurde, nicht nur eine Geschichtsschreibung der SiegerInnen, sondern auch eine Geschichtsschreibung der TäterInnen und MitläuferInnen. Hannah Arendt veröffentlichte 1950 einen Text mit dem Titel: „Die Nachwirkungen des Naziregimes. Bericht aus Deutschland“, in dem sie die Eindrücke eines Deutschlandbesuchs nach der Niederlage schildert und reflektiert. Sie konstatiert darin, die in Deutschland vorherrschende „Flucht vor der Wirklichkeit“, die sie als „Flucht vor der Verantwortung“ beschreibt: So bemerkt sie: „die Wirklichkeit der Naziverbrechen, des Krieges und der Niederlage beherrscht, ob wahrgenommen oder verdrängt, offensichtlich noch das gesamte Leben in Deutschland, und die Deutschen haben sich verschiedene Tricks einfallen lassen, um den schockierenden Auswirkungen aus dem Weg zu gehen.“ Als einen dieser Tricks analysiert sie, die Strategie Schuld abzuwehren, indem die Verbrechen ins Virtuelle verallgemeinert werden: „Aus der Wirklichkeit der Todesfabrik wird eine bloße Möglichkeit: Die Deutschen hätten nur das getan, wozu andere auch fähig seien (was natürlich mit vielen Beispielen illustriert wird) oder wozu andere künftig in der Lage wären.“

Die Konsequenz aus der Flucht vor der Verantwortung an den realen Verbrechen wurde im postnazistischen Alltag nicht selten die sehr allgemeine Aussage, „dass alle Kriege schrecklich wären“. Die realen und konkreten Verbrechen, die Vertreibungen und der Massenmord an Juden, Roma und Sinti müssen ebensowenig konkret thematisiert und geahndet werden, wie die Verbrechen der Wehrmacht, wenn sie nichts anderes sind, als Teil eines „schrecklichen Krieges“. Mit dem Diskurs des „schmutzigen Krieges“ konnte sehr lange der Mythos der „sauberen Wehrmacht“ gestützt und aufrechterhalten werden. Diese Strategie offen zu legen, die in der geschichtspolitischen Theorie auch „Verallgemeinerung“ genannt wird, ist wohl beispielgebend für das, was mit diesem Projekt intendiert ist. So heisst es doch in der Ankündigung des „Wörterbuch des Krieges“:

„Das Wörterbuch des Krieges dient der Auseinandersetzung mit einer Wirklichkeit, die davon geprägt ist, vorhandene Machtverhältnisse desto stärker zu verschleiern je mehr über Krieg und Frieden geredet wird.“

Nun wird hier viel über Krieg und Frieden geredet. Und über sehr viele verschiedene Kriege. Vertreibung und Ermordung sind in Deutschland und Österreich sehr reale Geschichte, sie waren hier Wirklichkeit, keine bloße Möglichkeit. Die Geschichte des Krieges ist hier also sehr konkret.

Wir sind in München.
„München war 1919/1920 der Gründungsort der NSDAP und bis 1945 Sitz ihrer Reichsleitung. Hier starteten Hitler und andere maßgebliche Akteure des NS-Regimes ihre politische Laufbahn. Seit 1933 trug München den Titel „Hauptstadt der Deutschen Kunst“ und seit 1935 „Hauptstadt der Bewegung“. Hier wurden rassistische und militärische Angriffsprogramme entworfen, die Ausschaltung der politischen Opposition und unliebsamer Kunstrichtungen betrieben, mit Dachau eines der ersten Konzentrationslager errichtet und die systematische Verfolgung des Judentums in Gang gesetzt. Wer Widerstand leistete, wurde verfolgt, gefoltert oder hingerichtet.“

Die nächste Station von „Wörterbuch des Krieges“ wird in Graz stattfinden.
Graz war bereits vor dem so genannten Anschluss Österreichs an Deutschland eine Hochburg der Illegalen Nazis. Am 24. Februar 1938 erreichten die Grazer Nazis im Zuge von Demonstrationen, bei denen mehrere Tausend mit Hakenkreuzfahnen durch die Grazer Innenstadt zogen, Parolen skandierten, Lieder sangen und Flugblätter streuten, die Hissung der Hakenkreuzfahne am Grazer Rathaus mit Zustimmung des damaligen Bürgermeisters Schmied. Eine beträchtliche Zahl von Polizisten, Gendarmen und Militärs gehörte nationalsozialistischen Gliederungen an. Nach dem Anschluss - am 25. Juli 1938 findet in Graz eine Siegesfeier und Ehrung der illegalen Nazis die beim Juliputsch 1934 niedergeschlagen wurden, unter dem Slogan: "Und ihr habt doch gesiegt" statt. Bei dieser Feier erfuhren die jubelnden GrazerInnen, dass der Stadt von Adolf Hitler der Ehrentitel "Stadt der Volkserhebung" verliehen worden war - in Anerkennung der Verdienste der Steiermark und Graz um den Nationalsozialismus.

Eine der vielen Geschichten der Nazi-Verfolgungen im Umfeld von Graz hat der Publizist Günther Jacob recherchiert: Die Geschichte der NS-Zwangsarbeit am Steirischen Erzberg. Bis heute ist diese Geschichte nicht dokumentiert und aus der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt.

„Im April 1938, nur wenige Wochen nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, hatte Hermann Göring in Linz den Entschluss zur Errichtung der Hermann-Göring-Werke bekannt gegeben. Im nun „Ostmark“ genannten Österreich sollten neue industrielle Großprojekte der Aufrüstung entstehen und Investitionen in die Energiegewinnung aus Wasserkraft sollten die deutschen Kohlengruben entlasten. Die Wachstums- und Beschäftigungswirkung dieses staatlichen Investitionsprogramms war enorm. Es entstanden ganz neue vor- und nachgelagerte Industrien. Die Hermann-Göring-Werke übernahmen in Hinblick auf die künftige Rüstungsproduktion Mehrheitsbeteiligungen an den Eisen- und Stahlwerken Alpine Montan, den Automobilwerken Steyr-Daimler-Puch und den Gussstahlwerken in Judenburg. Die Elektrizitätswerke wurden weitgehend unter dem Dach der neugegründeten Alpen-Elektro-Werke zusammengeschlossen.

Nach dem Willen der NS-Planer sollten nun zur Absicherung der Versorgung im Kriegsfall „heimische“ Erzvorkommen genutzt werden. Damit war vor allem der steirische ERZBERG gemeint, der mit in Tagebau und Stollenbaubetrieb gewonnenen 1,8 Millionen Tonnen Erzproduktion jährlich fast ein Viertel der deutschen Eigenförderung von 1937 ausmachte. Das steirische Erz galt als hochwertiger Rohstoff. Man wollte die Produktion daher auf sechs Millionen Tonnen anheben. Doch spätestens seit dem Überfall auf Polen reichten die Arbeitskräfte nicht mehr aus, weil immer mehr Arbeitskräfte zur Wehrmacht eingezogen wurden. In der Landwirtschaft der Steiermark wurden ab 1939 erstmals polnische Kriegsgefangene eingesetzt. Ihnen folgten bald auch Zivilarbeiter aus Polen, wobei sich bereits zu diesem Zeitpunkt die Grenzen zwischen ziviler Lohnarbeit und Zwangsarbeit zu verwischen begannen. Im Dezember 1939 waren dann am steirischen ERZBERG die ersten 300 von 1.500 angeforderten polnischen Arbeitskräfte angekommen. Es sollte dann nicht mehr lange dauernd, bis weitere Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen am ERZBERG eingesetzt wurden. Am Ende wurden dort Tausende unter furchtbaren Bedingungen ausgebeutet: Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus vielen Ländern, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge aus Mauthausen.“

Die Ausblendung der Geschichte des Erzberges aus der öffentlichen steirischen und österreichischen Wahrnehmung ist nur ein Beispiel von vielen. Die Geschichte Österreichs nach 1945 ist auch eine Geschichte des Verbergens.

So ist es der österreichischen Geschichtspolitik nach 1945 gelungen den Mythos von Österreich als erstem Opfer der Nazis zu etablieren:

„Am 27. April 1945 proklamiert sich im von der Roten Armee befreiten Wien bereits das „Neue“ Österreich, während in Mauthausen, den Nebenlagern und auf den Wegen dorthin noch Menschen ermordet werden und an Krankheit und Unterernährung sterben. In der Unabhängigkeitserklärung sind alle Legenden, die die Zweite Republik und ihren Umgang mit der Shoah und deren Opfer prägen sollte, angelegt:
• der „Anschluss“ sei dem „hilflos gewordenen Volke Österreichs“ von außen „aufgezwungen worden“
• die Behauptung, „dass die nationalsozialistische Reichsregierung Adolf Hitlers kraft dieser völligen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Annexion des Landes das macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg geführt hat, den kein Österreicher jemals gewollt hat, jemals vorauszusehen oder gutzuheißen instand gesetzt war, zur Bekriegung von Völkern, gegen die kein wahrer Österreicher jemals Gefühle der Feindschaft oder des Hasses gehegt hat“.

Mit dem Hinweis auf das von den Nazis „macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs“ wurde impliziert, dass die österreichische Bevölkerung nicht für die NS-Verbrechen mitverantwortlich gemacht werden könne. Basierend auf der „Moskauer Deklaration“ (1943), die jedoch auch von einer „Mitverantwortung“ Österreichs am Krieg sprach (was übrigens im letzten Moment aus dem Staatsvertrag rausreklamiert werden konnte), sah man sich vielmehr selbst als Opfer. Dieser Selbstwahrnehmung entgegen stand die Tatsache der überproportionalen Beteiligung der „Ostmärker“ an den NS-Verbrechen.“

Die propagierte These von Österreich als erstem Opfer der Nazis, die zum wichtigsten Gründungsmythos der zweiten Republik wurde, wird als „Opfermythos“ bezeichnet. Ein wesentlicher Effekt dieser These war die Abwendung von Wiedergutmachungs- und Rückstellungsansprüchen. Wolfgang Schüssel bestärkte seine Position zur Rolle Österreichs „als erstem Opfer“ in einem Interview mit der NZZ am 5. Februar 2005. Auf die Frage: „Sieht sich Österreich 60 Jahre nach Kriegsende nun als Täter oder als Opfer?“ antwortet er eindeutig: „Ich glaube, diese Diskussion ist entschieden. Das Land selber war Opfer einer Aggression, und zwar einer militärischen Aggression.“

2005, das Jahr in dem Schüssel die Opferthese erneut bekräftigte, war in Österreich offizielles Jubiläumsjahr. Feierlich begangen wurde es von der österreichischen Bundesregierung, die sich in erster Linie selbst damit feierte. Anlass zum feiern gaben offenbar die Jubiläen der Daten 1945 (Gründung der Republik), 1955 (Staatsvertrag) und 1995 (Eu-Beitritt). Die Feierlichkeiten nahmen den öffentlichen Raum ein und zwar sowohl in den Medien als auch auf öffentlichen Plätzen, an denen mit dem Projekt 25 peaces Events stattfanden, die an die Nachkriegszeit erinnern sollten. Nicht gesprochen wurde von offizieller Seite darüber, dass 1945 das Jahr war, in dem die Konzentrationslager befreit wurden und mit der Niederlage der deutsch/österreichischen Nazis durch die Alliierten Österreich befreit wurde – und zwar gewissermaßen von sich selbst.

Bild Monument

In diesem Kontext bildete sich eine Projektgruppe heraus, die mit einem Sockel ein „Monument für die Niederlage“ und eine Auseinandersetzung mit der Befreiung durch die Alliierten ebenso wie mit der ungenügenden Entnazifizierung in Österreich forderte. Das Projekt wurde von der Historikerin Charlotte Martinz-Turek, der Kuratorin Luisa Ziaja, dem Künstler Martin Krenn und mir ins Leben gerufen. Mit einem Projekt im öffentlichen Raum ging es darum eine andere geschichtspolitische Perspektive in den Kontext des Jubiläumsjahres 2005 hineinzureklamieren.

Am 8. April 2005 wurde um 12 Uhr im Ostarrichi-Park vor dem Landesgericht ein temporäres Monument für die Niederlage enthüllt, das eine Auseinandersetzung mit den Entnazifizierungsprozessen auslösen und die bis heute unvollendete Entnazifizierung zum Thema machte. Das achtseitige Objekt war als monumentaler Sockel konzipiert und maß 2 m Höhe mit einem Umfang von 11 m.

Das Monument für die Niederlage war ein temporäres Projekt für den öffentlichen Raum, das als eintägige Intervention konzipiert war. Es war ein Monument für die Zeit der Entnazifizierung von 1945-1947 und feierte die Niederlage der deutsch-österreichischen Nazis.

Auf dem Sockel war in großen Lettern zu lesen:

Dieser Sockel fordert ein Monument
Für die Niederlage
Für die Befreiung
Für die Entnazifizierung

Der Sockel war darüber hinaus auch Träger von Informationen über die Entnazifizierungsprozesse in Österreich und ihr schnelles Ende, über die ungenügende Restitution, über das Wiener Landesgericht in der Nazizeit und über die österreichische Geschichtspolitik. Mit dem Schwerpunkt auf die Geschichte der Entnazifizierungsprozesse ging es wesentlich darum, auf die Verbrechen zu verweisen, die von ÖsterreicherInnen begangen wurden.

Mit dem monumentalen Sockel sollte auf eine Leerstelle der österreichischen Geschichtspolitik hingewiesen werden. Das Monument für die Niederlage stellte sich der grundlegenden Ausblendung der NS-Verbrechen, die von ÖsterreicherInnen verübt worden waren, wie auch der Ausblendung ihrer justiziellen Ahndung aus dem öffentlichen Diskurs entgegen.

Video Anja Salomonowitz
Mit einem Video, das als Loop eher für Monitore oder dauerhafte Präsentationen im Ausstellungsraum als für Screenings konzipiert ist, versuchte Anja Salmonowitz den Aufforderungscharakter der Aktion festzuhalten.
Die Arbeit sucht eine filmische Sprache: die Aktion nicht einfach dokumentieren, sondern filmisch umsetzen. Die Aktion nicht wiederholen, festhalten, aber die Quintessenz und Aussage weiter tragen.

Bild Monument

Am 8. Mai 2006 wurde das „Monument für die Niederlage“ ein weiteres Mal am Wiener Mexikoplatz aufgestellt, mit einer Erweiterung der Informationen und neuen Texten, die Heribert Schiedel verfasst hat und die teilweise auch Teil dieses Vortrages werden konnten. Die Texte erläuterten nun die Geschichte des Opfermythos, der geschichtspolitischen Legendenbildung nach 1945 und ihre realen Konsequenzen für die Überlebenden.

Einige Überlegungen sollen nun das Projekt und den bewusst gewählten positiv besetzten Begriff der Niederlage kontextualisieren:
In Hinblick auf das Jahr 1945 sprachen ursprünglich die Nazis und die Neonazis von der „Niederlage“. Sie begehen in Österreich den 8. Mai – den Tag der Kapitulation der Wehrmacht und der Zerschlagung der NS Herrschaft – als Tag der „Niederlage“. Der Begriff ist ein Bekenntnis der Neonazis zu ihrer Identifikation mit den Nazis. Demgegenüber steht zum Glück die linke Wahrnehmung des 8. Mai als Tag der Befreiung. Aber wer wurde 1945 eigentlich von den Alliierten befreit? Befreit wurden die Konzentrationslager, die Verfolgten, die Überlebenden und die WiderstandskämpferInnen. Die meisten anderen wurden im besten Falle von sich selbst befreit.

Das Projekt forderte nicht nur zum Gedenken auf, es verweigerte bewusst jede Möglichkeit einer Identifikation mit den Opfern und forderte dazu auf, "die Niederlage der deutsch-österreichischen Nazis“ aus der Perspektive des NS-Nachfolgestaates positiv zu besetzen. In diesem Zusammenhang wurden wir von der österreichischen Tageszeitung „der Standard“ gefragt, ob dies für das offizielle Österreich überhaupt möglich sei.
Unsere Antwort lautete: Eine offizielle Gegen-Identifikation ist gerade deshalb notwendig, weil sie vielleicht unmöglich ist. Es geht darum ein Geschichtsbewusstsein zu entwickeln, das die Verbrechen nicht ausblendet. Nicht nur im Gedenken an die Opfer, sondern ebensosehr in der Übernahme von Verantwortung für die Verbrechen muss ein offizielles Selbstverständnis bestehen. Das geht einher mit einer radikalen Destruktion der Opferthese und einem Bekenntnis zu Österreich als NS-Nachfolgestaat. Daher geht es uns um eine positive Besetzung der Niederlage im Sinn einer Gegen-Identifikation, nämlich nach einer Identifikation mit der eigenen Rolle in der Tätergesellschaft.

Das „Monument für die Niederlage“ stellte gleichermaßen ein Statement und eine Forderung dar. Es war bewusst kein Monument, sondern nur ein Sockel, der ein Monument forderte.

Mittlerweile gibt es lange und diversifizierte Diskussionen über jene Denkmäler, die nicht an Heldentaten, sondern eben an Verbrechen erinnern sollen. Es gibt eine Geschichte der Mahnmale und der Debatten um Mahnmale. Genau genommen erinnern, diese aber zumeist gar nicht explizit an Verbrechen. Sie gedenken der Opfer. Von Tätern ist dabei sehr oft gar nicht die Rede. Dabei handelt es sich also gar nicht eigentlich um Mahnmale – um Monumente der Gegenidentifikation. Vielmehr sind es Denkmäler für die Ermordeten. Insofern sind sie notwendig. Sind sie doch Orte des Gedenkens geworden und dienen auch als Orte der Erinnerung an die Ermordeten, die an keinem Friedhof begraben werden konnten. Eine Gefahr, die diese Mahnmale als Opfergedenken jedoch immer in sich bergen, besteht darin, dass sie ein Angebot zur Identifikation mit den Opfern machen. Hier können gewissermaßen alle trauern, zumeist ohne dass TäterInnenschaft überhaupt angesprochen wird.

Mit dem Projekt „Monument für die Niederlage“ sollte eine Debatte angestoßen werden, die die Verbrechen und ihre Ausblendung nach 1945 zum Thema macht und keine Identifikation mit den Opfern ermöglichen sollte. Wie aber lässt sich mit einem Monument eine Perspektive einnehmen, die nicht Gefahr läuft eine Identifikation mit den Opfern herzustellen? In gewisser Weise wollten wir auch einen Denkprozess bezüglich dieser Fragen auslösen und ein negatives Monument schaffen, das nicht Gedenken in den Vordergrund stellt, sondern die Verbrechen von ÖsterreicherInnen und ihre Ausblendung nach 1945 klar und deutlich zum Thema macht.

Eine weitere Auseinandersetzung mit gängigen Mahnmaldiskussionen stellte im Zuge des Projekts die Frage dar, ob Monumente nicht mehr dem Vergessen dienen, als der Erinnerung. Gerade so als baute man ein Mahnmal um dann endlich einen Schlussstrich ziehen zu können.
Die Form eines monumentalen Sockels sollte demgegenüber kein Monument, sondern vielmehr die Forderung nach einem Gegen-Monument in den Raum zu stellen. Der Sockel sollte eine gesellschafts- und geschichtspolitische Diskussion auslösen und forderte zugleich die dauerhafte Aufstellung eines Monumentes für die Niederlage. Ein Sockel, der eine Forderung darstellt, der nichts abschließt, sondern sich als Aufforderung versteht, einen Prozess der Auseinandersetzung mit den Konsequenzen der historischen Rolle als NS-Nachfolgestaat auszulösen.

Mit dem Projekt ging es uns gerade darum, die konkrete und faktische Geschichte der Verbrechen der Nazis und der Strategien diese auszublenden, zum Thema zu machen. Eine jener Strategien, ist die oben dargestellt Verallgemeinerung der „Schrecken des Krieges“. Wenn ich hier in München für eine Perspektive für die Niederlage eintrete, dann geht es auch und eigentlich um reale Konsequenzen für die Gegenwart:

• Um eine Verweigerung gängiger Verallgemeinerungen ebenso wie Parallelisierungen der Verbrechen der Nazis mit anderen Kriegen (speziell der USA und Israel).

• Um die Übernahme einer radikal anti-patriotischen Haltung und die Zurückweisung eines Diskurses, der die NS-Nachfolgestaaten als ganz normale Nationen darstellt.

• Um Forderungen nach lückenloser Restitution und juristischen Konsequenzen.

• Um die politische Arbeit an einem dezidierten und politischen Kampf gegen den Antisemitismus heute.