Kollaboration

Fast unbemerkt hat sich in den letzten Jahren ein Begriff im zeitgenössischen Wortschatz breit gemacht, der sich durch eine gewisse Heimtücke auszeichnet. Spätestens seit der Lobpreis von "social networking" den Katzenjammer nach der "New economy" vergessen macht, ist "Kollaboration" zur Losung geworden, um neue Formen von Zusammenarbeit in immateriellen Produktionsverhältnissen programmatisch zu umreissen.

"Kollaboration" ist Fremd- und Lehnwort zugleich; eine Code, der auf den hauchdünnen und spiegelglatten Oberflächen der sich vernetzenden Sprachräume Konnotationen verschiebt und neue Bedeutungszusammenhänge stiftet.

Dabei könnte es etymologisch kaum einfacher zugehen: Kollaboration stammt vom lateinischen "collaborare" ab und heisst ganz einfach "Zusammenarbeit". Im Angelsächsischen hat sich der unbescholtene, unmittelbare Wortsinn erhalten - zugespitzt auf vornehmlich intellektuelle Bestrebungen, die eben nichts mit hartem Zupacken, Schweiss oder Dreck unter den Fingernägeln zu tun haben.

Im Deutschen war es von Anfang an komplizierter: Kollaboration ist seit Beginn des 19. Jahrhunderts vor allem dazu verwendet worden, um in Zeiten kriegerischer Auseinandersetzungen die willentliche Zusammenarbeit mit einer Macht zu kennzeichnen, die eigentlich als feindlich angesehen werden muss und zu der zumindest keine legitimierte Verbindung besteht.

War die Frage der Zusammenarbeit deutscher Intellektueller mit den französischen Revolutionstruppen zu Zeiten der napoleonischen Kriege noch Gegenstand heftiger Debatten mit unterschiedlichen politischen Implikationen und kollidierenden Wertesystemen, hat sich der eindeutig abwertende Wortsinn von Kollaboration erst im Laufe des Zweiten Weltkrieges herausgebildet. Nachdem Marshall Petain die Franzosen im Oktober 1940 in einer Radioansprache zur "Collaboration" mit dem Hitlerfaschismus aufrief, griff auch die französische "Resistance" diese Wortwahl auf und brandmarkte so die Anhänger des Vichy-Regimes als Opportunisten und Feiglinge.

In den meisten europäischen Sprachen hat sich in der Nachkriegszeit die pejorative Konnotation von Kollaboration wenn nicht durchgesetzt, so doch zumindest erhalten. Umso erstaunlicher ist es, dass sich mit dem Siegeszug von Internet und den sich damit ausbreitenden strukturellen Anglizismen mittlerweile eine Synonymität von Kollaboration und Kooperation eingestellt zu haben scheint, die eher dazu führt, die spannenden begrifflichen Dimensionen einzuebnen.

Im Gegensatz zu Kooperation, die zunächst einmal durch eine von vorneherein fest stehende Integrität besticht, ist Kollaboration ein Kampfbegriff, der, eben weil er anrüchig, umstritten und hart umkämpft ist, reichlich Aufschluss gibt über die Widersprüche und Eigensinnigkeiten in bestimmten Konstellationen.

Heute wirkt es sinnvoller denn je, prinzipiell zwischen Kollaboration und Kooperation zu unterscheiden; nicht zuletzt, um nicht Gefahr zu laufen, Produktions- und Arbeitsverhältnissen zu glorifizieren, die vorgeben, sich über räumliche und zeitliche Distanzen hinwegzusetzen und die Widersprüche in einem harmonischen Miteinander zugunsten eines übergeordneten Ganzen aufzulösen versuchen.

Bei Kollaboration geht es schließlich um genau das Gegenteil dessen, was die Managementtheorie seit den 80er Jahren als "Teamwork" verbrämt hat - also den Akt der Unterwerfung der eigenen Subjektivität unter das allgegenwärtige Kontrollregime der Gruppe, die den Vorarbeiter ersetzt hat und die Steigerung der Arbeitsleistung nicht mithilfe von Repressalien, sondern mithilfe einer aberwitzigen kollektiven Identifikation einer kleinen Zahl von Kollegen als miteinander konkurrierende Kleingruppen herstellt.

Kollaboration stellt den Idealismus von Kooperation und Teamwork vom Kopf auf die Füße. Kollaboration bedeutet, Geheimnisse untereinander auszutauschen. Und zwar nicht aus sentimentalen Regungen, aus philantropischen Impulsen oder um der Effizienz willen, sondern aus eigenem Interesse - was auch immer das sein mag.

Statt die vermeintliche Generosität einer Gruppe zu bemühen, in der die Einzelnen einander entweder solidarisch oder auf Befehl verbunden sind, handeln Kollaborationen von einem eher schroffen, im Prinzip ungenerösen Modus, in dem die Einzelnen, je mehr sie ihre eigenen Interessen verfolgen, umso stärker aufeinander angewiesen sind.

Es ist eigentlich unmöglich, Kollaborationen zu planen. Sie passieren vielmehr. Es handelt sich um performative und transformative Prozesse, die nicht an ihren Inhalten, ihren jeweiligen Bestandteilen und möglichen Ergebnissen interessiert sind, sondern im Gegenteil: Kollaboration verkehrt die gewohnte Abfolge und gegenseitige Unterordnung der beteiligten Komponenten.

Es geht um das plötzliche Bedürfnis, die gewohnten Grenzen der eigenen Erfahrungen, Fertigkeiten und intellektuellen Resourcen zu überschreiten, um in namenlose und fremde Territorien vorzudringen, in denen Fähigkeiten, die bislang als individuell verstanden wurden, sich auf wundersame Art und Weise mit denen anderer verbinden.

Vor allen Dingen handelt es sich nicht um das mehr oder weniger großzügige Gewähren von Zugang, sondern die Anerkennung einer unerwarteten Vielfalt und völlig ungewissen Verortung von Zugangsmöglichkeiten.

Während Kooperationen eindeutig identifizierbare Individuen innerhalb oder zwischen Verschiedenen Organisationen involvieren, drücken Kollaborationen differenzierte Beziehungen von heterogenen Elementen aus, die als Singularitäten bezeichnet werden können.

An sich nicht identifizierbar oder Gegenstand von vereinheitlichenden Kategorisierungen, definieren sie sich über die gerade entstehenden Beziehungen untereinander. Kollaboration findet außerhalb der herkömmlichen Kategorien statt, ist außergewöhnlich und produziert Diskontinuität. Sie beginnt eben an dem Punkt, von dem aus alles weitere unberechenbar wird.

Rationalität wird durch eine Art Relationalität ersetzt, die Informationen immerfort zerlegt und wieder neu zusammensetzt, um sich vorübergehend unerwartete Dynamiken und Kontingenzen zunutze zu machen.

Exzessivität ist das wesentliche Kennzeichen von Kollaboration. Sie befindet sich jenseits jeder Messbarkeit und trifft sich mit der mathematischen Definition von Singularität als dem Punkt, an dem eine Kurve ins Unendliche abdriftet oder sich sonstwie unberechenbar benimmt.

Die Singularität verweist auf das Prekäre in Kollaborationen, ihre systemische Instabilität statuiert ein Exempel der Krise, die heutzutage mit den Umbrüchen und Transformationen der Arbeitsgesellschaft assoziiert wird - allesamt Prozesse, die durchaus auch als Übergang vom Paradigma der Kooperation zu dem der Kollaboration verstanden werden können.

Von der Börsenspekulation zur Entwicklung von Netzwerkprotokollen, von der Produktion neuer ästhetischer Fragestellungen in Kunst und Kultur bis hin zu politischem Aktivismus auf globaler Ebene: Menschen kommen zusammen und arbeiten unter Umständen zusammen, in denen ihre Leistungen, Effizienz und Arbeitskraft nicht mehr für sich genommen zu würdigen und zu bemessen sind, sondern sich immer auf die Arbeit jeweils anderer beziehen.

Das eigene Schaffen ist einzigartig, aber nur in immer bloss vorübergehend existierenden Netzwerken hervorzubringen, die sich aus unzähligen, unverwechselbaren Abhängigkeitsverhältnissen zusammensetzen. Verbindungen knüpfen und über einen gewissen Zeitraum aufrecht zu erhalten wird wichtiger als Ideen einzufangen, abzulegen und einzulagern.

Es ist ein steter Kampf ums eigene, prekäre Überleben in Geflechten aus Freiwilligkeit, Enthusiasmus, Kreativität, vorübergehender Beschäftigung, immensem Druck, regelmäßig wiederkehrendem Selbstzweifel und Verzweiflung: Modell für im Rest der Gesellschaft immer weiter um sich greifende Beschäftigungsverhältnisse, die sich hinter der geheuchelten Rhetorik von Kooperation, Vernetzung und Clusterbildung verbergen.

Solche Formen von Zusammenarbeit sind nun alles andere als romantisch und haben allenfalls gemein, dass sie nichts mehr miteinander gemein haben. Das Gemeinsame erscheint unvorstellbar und kann nurmehr als Negativität begriffen werden, dessen Quadratwurzel eine imaginäre Zahl ergeben muss.

Kollaborationen sind die "schwarzen Löcher" der Informations- und Wissensregime. Sie schlucken alles und produzieren Nichts, sie generieren reine Opulenz und ungewöhnliches Verhalten, das von den Normen der institutionellen Logik abweicht. Die damit einhergehende Unvorhersehbarkeit ist Wesenzug und eigentliche Stärke der Kollaboration.

Im Unterschied zur Kooperation, die immer einen von außen auferlegten Sinn beinhalten muss, ist Kollaboration eine immanente und illegitime Praxis. Schließlich stellt sie den Versuch dar, inmitten der in Echtzeit operierenden Netzwerke der Kontrollgesellschaft ein größtmögliches Maß an Autonomie zurückzuerlangen.