Der asymmetrische Krieg und die Ausbreitung des Schreckens

Kaum ein anderer Begriff hat die sicherheitspolitischen und militärstrategischen Debatten der vergangenen Jahre so geprägt wie der des asymmetrischen oder neuen Krieges.
Ihm zugrunde liegt ein Phänomen, über das sich kaum streiten lässt: Seit 1945 wurden, zumindest relativ betrachtet, immer weniger Kriege zwischenstaatlich ausgetragen; eine wachsende Zahl von Konflikten hingegen ist „irregulärer“ Natur. Das heißt, staatliche Verbände kämpfen gegen Partisanen und an manchen Kriegen sind gar nur noch irreguläre Akteure – konkurrierende Warlords, Kriegsunternehmer etc. – beteiligt.

Auf diese Weise, so die Interpretation der meisten Militärhistoriker, habe sich die Struktur des Krieges verändert. Denn der Staatenkrieg, der in Europa nach dem Westfälischen Frieden 1648 vorherrschend geworden war, verlief in symmetrischen Anordnungen. Zwei sich ähnliche Gegner bekämpften sich mit ähnlichen Mitteln. Das Zerstörungspotenzial der Massenvernichtungsmittel entzog dem Staatenkrieg im Verlauf des 20. Jahrhunderts jedoch die Grundlage. „Reguläre” Waffengänge zwischen den großen Militärblöcken konnten spätestens ab 1950 nur noch zum Preis völliger gegenseitiger Vernichtung geführt werden. Aus diesem Grund habe sich der Blockkonflikt auf „Stellvertreterkriege“ verlagert, bei denen Rebellen gegen ihre Landesregierungen Krieg führten.

Diese Darstellung ist einigermaßen problematisch, blendet sie doch aus, dass die europäischen Besatzungskriege in den Kolonien immer „irregulär“ und „asymmetrisch“ geführt wurden. Und auch die These, dass es sich bei den Partisanenkämpfen des 20. Jahrhunderts um „Stellvertreterkriege“ der Militärblöcke gehandelt habe, ist fragwürdig. Tatsächlich unterstützte die Sowjetunion die linken Guerillas der 1960er und 70er Jahre aus nationalstaatlichem Interesse fast überall nur zaghaft oder gar nicht. Der Bruch der maoistischen, guevaristischen und titoistischen Linken mit Moskau hatte genau mit dieser Abkehr der Sowjetunion von einer Revolutionsstrategie (hin zum staatlich verwalteten Sozialismus) zu tun.
Nichtsdestotrotz steht außer Frage, dass die zunehmende Zahl von Partisanenaufständen die Kriegführung in der Mitte des 20. Jahrhunderts grundlegend veränderte. In diesen Konflikten, die Sebastian Haffner bereits 1966 als „neue Kriege“ bezeichnete, standen Staatsapparate Rebellen gegenüber, die in der Zivilbevölkerung untertauchen konnten und bisweilen sogar deckungsgleich mit dieser waren. Der Partisanen- oder Guerillakrieg wurde zwischen ungleichen Gegnern, extrem erbittert und doch niederschwellig geführt. Es gab keine Entscheidungsschlachten, keine eindeutigen Fronten mehr. Stattdessen ging es um Abnutzung, Nadelstiche, Zermürbung und den politisch-psychologischen „Kampf um die Köpfe und Herzen der Menschen“. Und da ein solcher Partisanenkrieg nur mit massiver Unterstützung der Bevölkerung geführt werden kann, sprach Haffner von einem „demokratischen Krieg“.

Der Zusammenbruch der sozialistischen Idee Anfang der 1990er Jahre veränderte den Charakter bewaffneter Konflikte in der Welt erneut radikal. Die Tendenz, dass Kriege asymmetrisch geführt werden, setzte sich fort, gleichzeitig nahmen die meisten Konflikte jedoch einen post-politischen Charakter an.

In Deutschland wurde diese Transformation des Krieges vor allem auf der Grundlage von Herfried Münklers Publikationen (2002a, b) debattiert. Münkler sprach – 36 Jahre nach Sebastian Haffner und deutlich nach der britischen Konfliktforscherin Mary Kaldor (2000) – von „neuen Kriegen“. Seine Kernthese lautete dabei, dass die asymmetrische Kriegsanordnung zu einer Verselbständigung und Entgrenzung der Gewalt führe. Der zwischenstaatliche Krieg sei gehegt gewesen, weil Staatlichkeit mit international etablierten Regeln und politischen Unterscheidungen zwischen Krieg und Frieden, Schlachtfeld und Etappe, Kombattanten und Zivilisten einhergehe. Der Guerillakrieg hingegen fege diese Hegungen beiseite. Denn im Partisanenkampf gibt es weder einen erklärten Kriegs- noch Friedenszustand, das Schlachtfeld befindet sich nirgends und überall, der Kombattant ist vom Zivilisten nicht zu unterscheiden. Auf diese Weise komme es zu einer Entregelung und Entgrenzung der Gewalt, die, so Münkler, vom Terrorismus weiter vertieft und radikalisiert werde. Es entfalte sich ein „Terrorkrieg (...), der weltweit und ohne jede Selbstbeschränkung bei der Auswahl der Opfer geführt wird.“ Münkler greift dabei auf den unscharfen, aber herrschaftlich überaus operablen Begriff des „internationalen Terrorismus“ zurück und verwendet diesen als Synonym für eine zeitliche, räumliche und qualitative Expansion des Schreckens. Die Asymmetrisierung des Krieges, so Münkler weiter, verwandele Zivilisten, die bis dahin in erster Linie Kollateralopfer gewesen seien, erstmals systematisch in Kriegsziele.
Es ist bemerkenswert, dass diese Thesen Münklers nirgends in der deutschsprachigen Debatte auf nennenswerten Widerstand stießen. Immerhin widersprechen sie den europäischen Kriegserfahrungen im Kern: Die Enthegung und Totalisierung der Kriegsgewalt bedurfte in Europa keiner Partisanen, kommunistischen Guerillas oder islamistischen Attentäter. Es waren der deutsche Staat und seine patriotisch mobilisierte Bevölkerung, die mit der Eroberung Osteuropas die Zivilbevölkerung in nie da gewesenem Ausmaß zum Angriffsziel machte.
Doch man muss wohl berücksichtigen, dass Münklers Interpretation des asymmetrischen Kriegs nicht deshalb so viel Aufmerksamkeit erhielt, weil sie analytisch besonders genau wäre. Sie verdankt ihre Verbreitung vielmehr der Tatsache, dass sich Münklers Analyse politisch einsetzen lässt. Seine These, dass die Enthegung der Kriegsgewalt von der unter Staatszerfall leidenden Peripherie (in Osteuropa und der Dritten Welt) nach Westeuropa zurückschwappen drohe, verweist bereits auf eine Gegenstrategie: „robuste Staatlichkeit“. Darunter ist, wie Münkler in Tageszeitungskommentaren regelmäßig ausführt, nicht etwa die Stärkung sozialstaatlicher Integration gemeint. Es geht Münkler vielmehr um das Recht oder sogar die Pflicht, der Staaten Westeuropas und Nordamerikas sich als Ordnungsmacht zu begreifen und global zu intervenieren. Nur folgerichtig ist es daher, dass Münkler sich nach den „neuen Kriegen“ dem Komplex „Imperien“ (2005) zuwandte und darin für eine aktive imperiale Rolle Europas plädierte.

Durchaus vergleichbar stellt sich auch die Debatte im englischsprachigen Raum dar, die maßgeblich vom israelischen Militärhistoriker Martin van Crefeld ausgelöst wurde. Crefeld vertrat bereits Anfang der 1990er Jahre die Ansicht, dass die Clausewitzschen Prinzipien der Kriegführung ihre Gültigkeit verloren hätte. Auch er hielt fest, dass die bewaffneten Konflikte der Zukunft nicht von staatlichen Streitkräften, sondern von „Gruppierungen, die wir heute Terroristen, Guerillas, Banden und Räuber nennen“, ausgetragen würden und zog einige Jahre später die zu erwartenden sicherheitspolitischen Schlüsse: Er malte, die Anschläge des 11. September 2001 vor Augen, ein weltumspannendes Bedrohungsszenario an die Wand und forderte, der Westen müsse auf diese asymmetrische Herausforderung mit einer allgemeinen Mobilmachung reagieren. Der Partisanen-Terrorist zeichne sich durch eine hyperflexible, moderne Kriegführung aus und sei den ordentlichen Militärs stets überlegen. Al Qaeda – das wohl eher einer diffusen militant-religiösen Strömung als einem Organisationsgeflecht entspricht – beschreibt van Crefeld als hochtechnisierte, transnationale Großstruktur, die den bürokratisch verwalteten Armeekörpern immer mehrere Schritte voraus sei. Selbst waffentechnisch besitze diese Organisation einen Vorsprung, denn am 11. September 2001 seien in New York eben so viele Menschen gestorben wie einst beim japanischen Angriff auf Pearl Harbor. Auf diese Herausforderung müsse der Westen mit einer kriegerischen Umgestaltung der Gesellschaft reagieren.

Es gibt wahrlich keinen Grund, Sympathien für den bewaffneten oder auch nur politischen Islam zu hegen. Trotzdem muss man darauf hinweisen, dass die seit dem 11. September 2001 gebetsmühlenartig wiederholte Formel falsch ist. In den Attentaten von New York, Madrid oder London mag sich eine apokalyptische Menschenverachtung ausdrücken, die faschistoide Züge trägt; eine neue Qualität des Schreckens bedeuten diese Anschläge auf Bürogebäude und Nahverkehrsmittel jedoch nicht. Ein systematischer Angriff auf Zivilisten ist keine Erfindung des islamistischen oder „internationalen“ Terrorismus. Der kalkulierte Einsatz des Schreckens, die Einschüchterung durch Mord und Verstümmelung, der politisch gewollte Angriff auf Nicht-Kombattanten ist seit langer Zeit Teil der Kriegführung – auch und gerade jener „stabiler Staaten Westeuropas und Nordamerikas“ (Münkler 2002a), die sich seit 2001 verstärkt als Hort von Aufklärung und Zivilisation begreifen. Der asymmetrische Krieg und die Entregelung der Gewalt haben eine andere Geschichte als uns Münkler oder van Crefeld weismachen wollen.

Wandel und Kosten herrschaftlicher Gewalt

Zweifellos richtig ist, dass der Partisanen- oder Guerillakrieg das Ergebnis asymmetrischer Konstellationen ist. Aufständische wählen irreguläre Mittel, weil sie einem Staatsapparat unterlegen sind und deshalb „normale” Konfrontationen vermeiden müssen. Was in der Debatte über den asymmetrischen Krieg jedoch weitgehend unterschlagen wird, ist die Tatsache, dass die Entregelung der Gewalt von den herausgeforderten Staaten aktiv vorangetrieben wird. Auf den Aufstand der südwestafrikanischen Herero Ende des 19. Jahrhunderts reagierte die deutsche Heeresführung – und nicht etwa die Aufständischen – mit der Erklärung, von nun an nicht mehr zwischen Kämpfern, Frauen und Kindern zu unterscheiden. Der systematische Angriff auf Zivilisten wurde als Strategie gewählt, um den Widerstand zu brechen. Er war keine Kampfstrategie der Aufständischen.

Das Beispiel ist kein Einzelfall. Es lässt sich nachzeichnen, dass der „freie Westen” lange vor der aktuellen Debatte irreguläre, asymmetrische Militärstrategien anwandte und diskutierte. Gegen das revolutionäre Russland etwa, brachten die Westmächte ab 1918 partisanenähnliche Verbände zum Einsatz, die an der Seite zaristischer Truppen eine Stabilisierung der Revolution verhindern sollten. Ab 1945 wurden verdeckte und irreguläre Subversionsbekämpfung unter dem Stichwort der Nationalen Sicherheit gar zu einem zentralen Leitmotiv US-amerikanischer Innen- und Außenpolitik. So begannen die USA und Großbritannien unmittelbar nach Kriegsende in Westeuropa ein Netzwerk so genannter stay behind-Einheiten aufzubauen – konspirativer Geheimzellen, die im Falle einer sowjetischen Invasion Partisanenwiderstand leisten sollten, aber auch im politischen Kampf gegen die Linke eingesetzt wurden (Ganser 2005). Diese von den Geheimdiensten trainierten Einheiten rekrutierten sich zu einem beträchtlichen Teil aus dem Personal faschistischer Organisationen, die als besonders verlässliche Antikommunisten galten. In Italien verübten sie in der Folgezeit eine Reihe von blutigen Anschlägen, durch die das Klima für eine autoritäre Lösung geschaffen werden sollten. Auch für Belgien und Deutschland gibt es Hinweise, dass es im kleineren Ausmaß zu ähnlichen Aktivitäten kam.

Eine besonders große Rolle spielten irreguläre und Geheimskriegs-Aktivitäten jedoch in jenen Staaten der Dritten Welt, wo sich antikoloniale und sozialrevolutionäre Guerillas etabliert hatten. Die Kolonialmächte England und Frankreich, etwas später auch die USA reagierten auf die Herausforderung durch den Partisanenkampf mit einer umfassenden Umstrukturierung ihrer Kriegführung – ganz nach Napoleons Motto, wonach sich Partisanen nur mit Partisanenmethoden bekämpfen lassen. So protegierte die französische Armeeführung mit der berüchtigten OAS (Organisation de l’Armée Secrète) eine Geheimarmee zur Bekämpfung der algerischen Befreiungsarmee, betrieb eine systematische Vertreibungs- und Umsiedlungspolitik gegen die Zivilbevölkerung und autorisierte den Einsatz terroristischer Anschläge zur Einschüchterung der FLN-freundlichen Bevölkerung. Im Indochina-Krieg bedienten sich Frankreichs Militärs im Rahmen ihrer irregulären Geheimkriegsstrategie sogar des Opiumhandels und lokaler Warlords, um die vietnamesische Unabhängigkeitsbewegung zu stoppen – eine Politik, die von den USA wenige Jahre später aktiv fortgesetzt wurde (McCoy 2003).

Die USA knüpften an diesen Erfahrungen an und exportierten die so genannte Nationale Sicherheitsdoktrin weltweit in verbündete Länder. Die Doktrin zog einen tief greifenden Staatsumbau nach sich. Häufig gerade erst erkämpfte Rechtsgarantien wurden außer Kraft gesetzt, die Gesellschaft autoritär durchdrungen, jahrelang andauernde Ausnahmezustände verhängt und offene oder schleichende Militärputsche durchgeführt. Gleichzeitig forcierten die US-Militärs den Aufbau flexibler Spezialverbände zur Aufstandsbekämpfung (Counterinsurgency). Diese Truppen, wie etwa die Green-Beret-Einheiten, wurden in „psychologischer Kriegführung“ ebenso geschult wie in „robusten Verhörmethoden“. Die in jenen Jahren verlegten und in den Staaten des Südens, zum Teil aber auch in Westeuropa eingesetzten Militärhandbücher stellen das Leben der Zivilbevölkerung (und nicht mehr den feindlichen Armeekörper) in den Mittelpunkt militärischen Denkens. Die (auf französischen und US-Texten beruhenden) kolumbianischen Armeehandbücher der 1960er bis 80er Jahre beispielsweise legen den Soldaten nahe, sich als Polizisten, Psychologen, Geheimdienstagenten und Biopolitiker zu betätigen (Noche y Niebla 2004). Die Soldaten sollten verhaften und verhören, mit Propaganda, Desinformation, Verunsicherung und Tricks die Bevölkerung manipulieren, sie ausforschen, erfassen und ihre Gesundheit zum Kriegsmittel machen – sei es, indem man Impfkampagnen durchführt oder aber ein Medikamenten-Embargo über ganze Regionen verhängt. Die von US-Militärberatern in den 1980er Jahren nach Mittelamerika eingeführten und dort unterrichteten Armeehandbücher sehen darüber hinaus die Ermordung von Oppositionellen und die Durchführung von Bombenanschlägen vor, mit denen die Öffentlichkeit verunsichert und eingeschüchtert werden soll. Auch der ‚rationale’ Einsatz von Folter – ein besonders erschreckendes Beispiel entregelter Gewaltanwendung – war stets Teil dieser Militärstrategie. Der Fall des US-Polizeiberaters Dan Mitrione, der 1970 von den uruguayischen Tupamaros entführt und erschossen wurde, bewies, dass US-Ausbilder eine aktive und gewichtige Rolle bei der Verbreitung und Versachlichung von Foltertechniken in Lateinamerika spielten.

Martin van Crefeld hat in einem Punkt Recht: Die asymmetrische Konstellation des Partisanenkriegs stellt für den aufstandsbekämpfenden Staat ein Problem dar. Er hat zwar die effektiveren Gewaltmittel zur Verfügung, doch weil er es nicht mit einem klar abgegrenzten Armeekörper, sondern mit Teilen der Bevölkerung zu tun hat, trifft seine Gewalt auch immer Zivilisten. „Kollateralschäden” erhöhen jedoch die Legitimation der Aufständischen. Van Crefeld behauptet deshalb, der Staat sei dem Partisan / Terroristen im asymmetrischen Krieg tendenziell unterlegen.

Worüber Van Crefeld und andere allerdings nicht sprechen, ist die Tatsache, dass die Aufstandsbekämpfung auch auf dieses Problem frühzeitig Antworten formulierte. Auf die asymmetrische Konstellation reagierte man mit einer Re-Symmetrisierung – der für die betroffenen Länder vielleicht folgenschwerste Aspekt irregulärer staatlicher Kriegführung.
Wie bereits erwähnt, kam es in der gesamten westlichen Welt nach 1945 zur Gründung zivil- und paramilitärischer Verbände. Während diese in Westeuropa offensichtlich nur aus einem Netzwerk antikommunistischer stay behind-Zellen bestanden, strukturierten sie in der Dritten Welt ganze Gesellschaften. So wurde die Bevölkerung im Rahmen paramilitärischer Gruppen an der Seite der Armee organisiert und auf diese Weise ein neues Gleichgewicht hergestellt: Es standen sich nicht länger der Staat auf der einen und die Bevölkerung / der Partisan auf der anderen Seite gegenüber, sondern der Bruch verlief direkt durch die Bevölkerung. Mit der Militarisierung des Zivillebens fräste sich jedoch auch die Willkür in die Gesellschaft hinein. Recht wurde von nackter Gewalt verdrängt, der Ausnahmezustand oder eigentlich richtiger: unzählige lokale Ausnahmezustände etabliert.

In Ländern wie Guatemala, Kolumbien und zum Teil auch der Türkei lassen sich die Folgen einer solchen systematischen Entregelung staatstragender Gewalt bis heute beobachten. Aus den Geheimdienstapparaten heraus entstanden, verwandelten sich die irregulären Verbände im Dienst der Ordnung zu teilautonomen parastaatlichen Kräften und entfalteten eine (im sicherheitspolitischen Diskurs vollständig ignorierte) Form des Klassenterrorismus. Die kolumbianischen Paramilitärs etwa haben seit 1981 Tausende von Massakern verübt – alle an Angehörigen der Unterschicht: an Kleinbauern, Slumbewohnern, gewerkschaftlich organisierten Arbeitern etc. Dieser Terrorismus hat den Krieg quantitativ und qualitativ viel stärker seiner Schranken beraubt als es Anschläge oder Entführungen durch die kolumbianische Guerilla getan haben. So betrachtet lässt sich der Begriff des Terrorismus – verstanden als systematischer Angriff auf Zivilisten und den kalkulierten politischen Einsatz des Schreckens – wohl auf kein anderes Phänomen so sinnvoll anwenden wie auf den Paramilitarismus. Wenn Bauern vor den Augen einer versammelten Dorfgemeinschaft mit der Motorsäge zerteilt oder im eigentlichen Sinne geschlachtet und ausgeweidet werden, dann geht es um nichts anderes als den kalkulierten, medial und theatralisch inszenierten Einsatz von Angst und Schrecken. Mit dieser Enthegung der Gewalt aber ist von Anfang an – und im offensichtlichen Widerspruch zu der These, wonach enthegte Kriegsgewalt eine Folge anarchischen Staatszerfalls sei – die Absicht verfolgt worden, staatliche Ordnung durchzusetzen und eine politische Krise „zu hegen”. Diese extreme Variante des Terrors ist das – zumindest billigend in Kauf genommene, möglicherweise in Krisensituation aber auch erwünschte – Ergebnis einer Militärdoktrin, die das westliche Lager seit Jahrzehnten verfolgt und einsetzt.

Der entfesselte Krieg

Zusammenfassend kann man also feststellen, dass es tatsächlich Irregularisierungs- und Entgrenzungsbewegungen des Krieges gibt, doch dass diese eine andere Dynamik besitzen, als allgemein unterstellt wird. Zweifellos verwandeln auch Autobomben oder die Aktionen islamistischer Gruppen Zivilisten systematisch in Angriffsziele. Doch in noch größerem Ausmaß ist die zu beobachtende Transformation von Krieg das Ergebnis staatlicher Militärpolitiken.

Parallel zur Informalisierung ökonomischer Strukturen und Regierungstechniken – ein Prozess, der kritisch als „Übergang von Government zu Governance“ bezeichnen worden ist – hat offensichtlich eine Irregularisierung von Sicherheitspolitik stattgefunden. Dabei ist es der Sicherheitsapparat selbst, der reguläre Staatlichkeit außer Kraft setzt, um Ordnung zu etablieren. Dass im Ausnahmezustand des so genannten Anti-Terror-Kriegs Rechtsgarantien aufgehoben werden, ist nur ein Aspekt dieser Entwicklung. Ein anderer manifestiert sich in der Tatsache, dass die im Dienst der Sicherheit ausgeübte Gewalt entstaatlicht wird – ein immer größerer Teil der US-Militärpolitik wird von privaten Unternehmen umgesetzt und entzieht sich damit jeder politischen Kontrolle.

Michael Hardt und Toni Negri haben in „Multitude“, über das man ansonsten geteilter Meinung sein kann, dieser Seite der Gewalt-Enthegung besondere Bedeutung beigemessen. In Anlehnung an Giorgio Agamben sehen sie einen globalen Ausnahmezustand heraufziehen, in dem internationale Polizeimaßnahmen, Krieg, Folter, Entrechtung und die Errichtung einer einzigen, ungreifbaren transnationalen Macht miteinander einhergehen: der „Albtraum eines anhaltenden und unbestimmten Kriegszustands (...), der das internationale Recht außer Kraft setzt und keine klare Unterscheidung zwischen Friedenserhaltung und Kriegsführung zulässt.“ Diese Kriegsführung beinhaltet all das, was Sicherheitsapologeten wie Münkler oder van Crefeld dem Terrorismus an Eigenschaften zuschreiben. Der Krieg gegen den Terror ist eine zeitlich und räumlich unbegrenzte Operation, eine entregelte Gewaltanwendung, die nicht als Krieg erklärt wird und doch so geführt werden kann, in der Trennlinien verschwinden, Außen- und Innenpolitik vermengt, äußerer Feind und innerer Gegner ununterscheidbar sind. Diese wird letztlich mit einem vorpolitischen Argument legitimiert, denn der „Terrorismus” ist im Unterschied zum „Kommunismus” kein politischer Gegner, sondern eine „Menschheitsgeißel”. Das große Ordnungsparadigma präsentiert sich also als unhinterfragbarer Feldzug der „Gerechtigkeit” – ein Motiv aus dem Mittelalter, in dem, so Hardt / Negri, das Echo der Religionskriege nachhallt.

Die Dimensionen dieser Entgrenzung sind furchterregend, auch wenn sie von der europäischen Mehrheitsbevölkerung nur am Rande wahrgenommen wird. Die Legalisierung der Folter, die Einrichtung gesetzloser Zonen, die Verschleppung von Menschen in Lager, die Tötung von Zivilisten, die allgemeine Einschüchterung einer Bevölkerung durch Terrorhandlungen ist schließlich nicht von irgendwelchen Gruppen, sondern von den bestausgestatteten Geheimdienst- und Militärapparaten der Welt zu verantworten. Die internationale Sicherheitspolitik läuft damit, wie Agamben warnt, auf eine „Gesetzeskraft“ (mit durchgestrichenem Gesetz) hinaus, in der das Gesetz eliminiert ist. Es ist die schwerwiegendste Enthegung der Gewalt, die gefährlichste und weitreichendste Irregularisierung, die wir heute erleben: ein gesetzloser Schrecken, der aus dem Inneren der Staatlichkeit selbst hervorgeht und die geballte militärische, politische und ökonomische Macht hinter sich weiß. Dieser Ausnahmezustand ist selektiv und differenziert, richtet sich nur gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen, wird nur in konkreten Konstellationen angewandt und ist im Alltag der Mehrheitsbevölkerung des Nordens nicht spürbar. Und doch repräsentiert er einen allgemeinen Bruch.

Literatur:
Agamben, Giorgio (2004): Ausnahmezustand, Frankfurt / Main
Ganser, Daniele (2005): NATO’s secret Armies. Operation Gladio and Terrorism in Western Europe, New York
Haffner, Sebastian (1966): Der neue Krieg, in: Mao T.: Theorie des Guerillakriegs, Hamburg
Kaldor, Mary (2000): Neue und alte Kriege, Frankfurt / Main
McCoy, Alfred (2003): The Politics of Heroin. CIA complicity in the Global Drug Trade, Chicago
Münkler, Herfried (2002a): Die neuen Kriege, Hamburg
- (2002b): Über den Krieg. Situationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion, Weilerswist
- (2005): Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – vom alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Hamburg
Noche y Niebla (2004): Deuda con la Humanidad. Paramilitarismo de Estado en Colombia 1988-2003, Bogotá
Van Crefeld, Martin (1997): What is Wrong with Clausewitz, in: De Nooy, Gert (Hg.): The Clausewitzian Dictum and The Future of Western Military Strategy, Den Haag / NL
- (1998): Die Zukunft des Krieges, München