Irreführer im Krieg
»Große Lügner sind auch immer große Zauberer.«
Adolf Hitler
Am 1. Januar 1945 wurde ein Huhn namens Elmer Gwynne zum Sergeant in der United States Army (#A C311) ernannt. Der Vogel stand in der Akte des Zauberers Jack Gwynne, der zusammen mit seiner Frau und der Bühnenassistentin Anne Mitglied der United Services Organization war, die Auftritte für die kriegsmüden Truppen in Kalkutta organisierte. Elmers Ernennung kam zustande, nachdem es zu Klagen über Soldaten gekommen war, die potentiell tollwütige Totenkopfaffen als Haustiere hielten. Um die darauf folgende Verbannung aller Tiere aus den Streitkräften zu vermeiden, wurde Gwynnes geflügeltes Bühneneigentum bürokratisch anthropomorphisiert, und zwar »in Anerkennung« seiner »erfolgreichen Mission bei der Unterhaltung der Truppen unserer Armeen«. Elmer gab der Theatertruppe den gewünschten moralischen Ansporn, obwohl er später Schutz brauchte, als Jack Gwynne im abgelegensten Teil von Indien und Burma schlecht ernährte Soldaten bemerkte, die verlangend auf den Vogel starrten, was ihn dazu veranlasste, einen pflichtbewussten Träger und Wächter einzustellen.
Diese Geschichte über die Anwesenheit eines Zauberers im Kriegstheater tauchte in einer Phase des relativen Optimismus für die Alliierten während der letzten Monate des Zweiten Weltkriegs auf. Die Antizipation von Feindseligkeiten und das fest gefügte Geschäft des Krieges führen allerdings noch zu einer anderen Erklärung für die Zauberei auf dem Schlachtfeld. Bei dieser sind die Begegnungen von einzelnen Zauberern und Regierungen sehr aufschlussreich, da letztere in Krisenzeiten den Sachverstand von professionellen Betrüger heranziehen und erstere den Wünschen der Machthaber nachkommen, indem sie ihre eigenen materiellen und ideologischen Zwecke verfolgen. Da politisch akzeptierbare Ebenen des Täuschens und Hereinlegens bei der Antizipation von Konflikten und in Konflikten zum Einsatz kommen, geraten professionelle Täuscher der Wahrnehmung oft sogar in die Militärakademie.
Die Vorgehensweisen (und die Handbucher) des Taktikers auf dem Schlachtfeld und des Zauberers haben viel gemeinsam. Als bestens ausgebildeter Irreführer in visuellen und verbalen Bereichen besteht die Rolle des Zauberers darin, eine Erklärung der Realität vorzuschlagen, während in Wirklichkeit etwas ganz anderes stattfindet. Ständig verlockend, etwas vortäuschend, Listen ersinnend und Blendwerk treibend, sind Zauberer kühne Choreographen von vorgegaukelten Räumen und Gebärden, bewusste und motivierte Erfinder von Illusionen – kurz gesagt, außergewöhnlich geschickte und opportunistische Lügner.
Ein Theoretiker, der diese Beziehung untersucht hat, ist Barton Stewart Whaley, dessen jüngste Veröffentlichung Detecting Deception: A Bobliography of Counterdeception Across Time, Cultures, and Discipline (2006) heute als eines der Schlüsseldokumente für jede ernsthafte Erforschung der Geschichte der Täuschung nicht nur in der Kriegführung, sondern in einem größeren kulturellen Kontext betrachtet wird. Für Whaley ist Täuschung die absichtliche Verdrehung der von einem anderen wahrgenommenen Realität und kann in zwei klare Kategorien eingeteilt werden: Dissimulation oder Verschleierung (die Realität verbergen) und Simulation (das Falsche zeigen). Bei der Dissimulation identifiziert er drei Methoden: maskieren (die Realität verbergen, indem man sie unsichtbar macht), anders verpacken (die Realität verbergen, indem man sie verhüllt) und verwirren (die Realität verbergen, indem man sie durcheinander bringt). Unter Simulation beschreibt er: Mimikry (das Falsche durch Nachahmung zeigen), Erfinden (das Falsche zeigen, indem man eine andere Realität vor Augen führt) und Köder auslegen (das Falsche zeigen, indem man die Aufmerksamkeit ablenkt). An anderer Stelle verglich Whaley diese Taxonomie der Täuschung mit den Strategien, die von professionellen Zauberern benutzt werden, und entdeckte eine deutlich erkennbare Korrespondenz in der Ordnung der abnehmenden Effektivität in beiden Bereichen. Überdies notierte er, dass sowohl die Militärtaktiker als auch die Zauberer Strategien aus jeder Kategorie häufig in höchst erfinderischer und zielgerichteter Weise miteinander kombinieren.
Simulation und Dissimulation prägen die Lebensgeschichte des im modernen Europa am besten bekannten Kampf-Zauberers Jasper Maskelyne (1902-1973) und verzerren sie auch. Seine Meisterstücke als Zauberer und Tarner in Nordafrika während des Zweiten Weltkriegs wurden durch den Schriftsteller David Fisher in The War Magician (1983) populär gemacht. Der Enkel einer etablierten und respektierten Theaterzaubererdynastie war, wie Fisher schreibt, die treibende Kraft hinter einem Kollektiv von Theaterprofis, Künstlern und Fälschern, die 1941 von der britischen Armee zusammengezogen wurden, um ihre Strategie der taktischen Täuschung während des Feldzugs der Alliierten in Nordafrika umzusetzen. Unter Maskelynes Leitung entwickelte die magic gang, als die dieser bunte Haufen bekannt war, entscheidende taktische Ablenkungsmanöver, darunter die erfolgreiche Tarnung der City von Alexandria vor der Bombardierung aus der Luft, die Mobilisierung von Fantom-Panzerbataillonen, indem er die Fahrzeuge mit leichten »Sonnenschutz«-Rahmen tarnte, und der Aufbau einer Anlage von riesigen, rotierenden Blendspiegeln, um die deutschen Piloten zu verwirren, die sich dem verwundbaren Suez-Kanal näherten. The War Magician war die Grundlage für zwei Fernsehdokumentationen in den 2000er Jahren, die diese Hinterlassenschaft getreulich präsentierten. Gerüchte über eine Hollywood-Verfilmung mit Tom Cruise in der Hauptrolle sind seit 2001 im Umlauf.
Angesichts der großen Bedeutung und des lang anhaltenden Interesses dieser Lebensgeschichte in der Öffentlichkeit und angesichts der zunehmend professionellen Aufbereitung in den Medien ist es wichtig, die Einzelheiten von Maskelynes Beitrag zu klären. Obwohl Maskelyne eine aktive Rolle in den relevanten Konflikten gespielt hat, ist das Buch von David Fisher (die Grundlage der oben beschriebenen und unbestrittenen Entwicklung) apokryphisch, da es den größten Teil seines Materials aus Maskelynes Erinnerungen Magic-Top Secret (geschrieben von dem Ghost-writer Frank S. Stuart im Jahre 1949) bezieht, also aus einem Buch, das der Militärhistoriker und Zauberer Richard Stokes kürzlich als historisch fragwürdig bezeichnet hat. Maskelynes wirklicher Beitrag zum Theater der Operationen war wesentlich, aber zumeist auf die Anpassung und Entfaltung von bereits vorhandenen Tarn- und Köder-Technologien begrenzt, und er hatte wohl kaum etwas mit den aufgebauschten, angeblich von der Zauberkunst inspirierten Innovationen zu tun, von denen Fisher erzählt. Die Erfindung eines Mini-Kompasses, der als Jackettknopf getarnt war, kann mit einiger Gewissheit der originären Meisterschaft Maskelynes zugeschrieben werden, sowie auch die Herstellung von besonders hochwertig gedruckten Seidenlandkarten. Trompe-l’oeil-Einfälle, darunter explodierende Kohle und als Tierkot getarnte Bomben (um die übermüdeten Fahrer von deutschen Truppentransportern reinzulegen) haben anscheinend ebenfalls zu seinen kreativen Aufgaben gehört. Bei diesen präzisen und kleinformatigen Herausforderungen konnte er sich auszeichnen, wie man es von einem Mann erwarten konnte, der zwischen den Theatervorhängen und in den Zauberwerkstätten der weltweit berühmten St. George’s Hall in London aufgewachsen war. Die meisten umfangreicheren Projekte wurden jedenfalls unter begrenzter Mitarbeit von Maskelyne von den British Royal Engineers ausgeführt, für die die Entwicklung von Täuschungsstrategien zu den Standardoperationen gehörte. Stokes deutet sogar an, führt dies aber nicht weiter aus, dass die verführerische Ausstrahlung, die Jasper Maskelynes Anwesenheit möglicherweise gehabt haben mag, von der militärischen Führung sogar absichtlich übertrieben wurde, indem den magischen Markennamen seiner Familie als Propagandawerkzeug benutzte. Auf was musste selbst das deutsche Oberkommando nicht gefasst sein mit einem »Maskelyne«, der mit Täuschungsoperationen beauftragt war? Der
Zauberer selbst ist möglicherweise ohne sein Zutun als illusionäre Kraft benutzt worden.
Für viele Zauberer sind die erzählerischen Details in The War Magician eher problematisch, weil sie eindeutig auf die fruchtbaren, aber romantisierten Entdeckungen des französischen Illusionisten Jean-Eugène Robert-Houdin zurückgehen, der in Confidences d’un Prestidigitateur (1858) die Eindämmung eines Kolonialaufstands in Nordafrika allein mit Hilfe von Zaubertricks beschreibt. Robert-Houdins wohlverdienter Ruhestand nach einem lebenslangen Dienst an der Zauberkunst wurde, wie er schreibt, unterbrochen durch einen Brief von Oberst de Neveu, dem Chef des politischen Büros der Franzosen in Algier. Die französische Kontrolle der Region war bedroht infolge der Aktivitäten von Marabut-Hexern, die »den Fanatismus ihrer [arabischen] Glaubensbrüder« schürten, indem sie die trügerischen Mittel der Magie einsetzten. Neveu suchte nun Robert-Houdins fachlichen Rat, um sie kalt zu stellen. Mit der Unterstützung eines Dolmetschers auf der Bühne spielte Robert-Houdin die Rolle eines französischen Wundermachers, der Kanonenkugel aus einem Zylinderhut hervorzauberte, den berühmte Kugelfang-Trick und den Schwerer-und-Leichter-Koffer-Trick vorführte, sowie eine Variante der Unerschöpflichen Flasche, politische Theatercoups, die einige seiner algerischen Zuschauer derartig in Angst und Schrecken versetzten, dass sie aus dem Theater flohen.
Obwohl heute für den zeitgenössischen Leser ein wertvoller Führer durch die Landschaft des frühen Goldenen Zeitalters der Zauberei, haben die Confidences d’un Prestidigitateur auch eine wichtige Rolle bei der Mythologisierung von Robert-Houdin als Bühnenkünstler gespielt. In der Maske einer ehrenwerten bekenntnishaften Autobiographie könnte das Buch als ein frühes Beispiel für eine magische Unter-Ordnung gesehen werden, die sich später zu dem entwickelte, was heute in den magischen Zirkeln liebevoll als bullshit biography toleriert wird. Als Eigenwerbung außerhalb der Bühne tragen diese höchst farbigen Semi-Fiktionen, die in der Öffentlichkeit verbreitet werden, dazu bei, eine funktionale Aura des Geheimnisses rund um die Person des Bühnenkünstlers aufrechtzuerhalten und haben einen entscheidenden Anteil an der Verbindung von ästhetischen, psychologischen und ökonomischen Anreizen, die das Publikum dazu bringen, dem existentiell absurden Vortrag eines Mannes oder einer Frau, die auf der Bühne stehen und vorgeben, Wunder zu vollbringen, Glauben zu schenken. Da Jasper Maskelyne noch auftrat, als er seine Erinnerungen veröffentlichte, und das allem Anschein nach, trotz der Einstellung der Kampfhandlungen, mit allen militärischen Insignien, ist Magic-Top Secret, wie ich meine, in dieser Sphäre anzusiedeln. David Fishers Buch The War Magician gehört dagegen zur Welt der Film- und Fernsehen-Optionen. Maskelyne, der nie ein begeisterter Erbe der Hinterlassenschaft seiner Familie war, starb 1973 als verbitterter Fahrlehrer in Südafrika, enttäuscht darüber, dass er nicht die Anerkennung gefunden hatte, die ihm seiner Meinung nach zustand, anders gesagt, als Opfer seiner eigenen Selbst-Mythologisierung.
Eine andere Quelle zauberischer Fiktionalität in Großbritannien während des Zweiten Weltkriegs war der Demon Telegraph, ein Untergrundhandelsmagazin, das zeitweilig von der »Davenport Magic Company« in deren Londoner Geschäftsräumen herausgegeben wurde und das trotz der akuten Papierknappheit fort fuhr, Zauberer mit Requisiten und Tricks zu versorgen, und oft mit explizit auf den Krieg bezogenen Themen. Der britische Premierminister während des Krieges, Winston Churchill, erscheint oft auf diesen Seiten, in einem Fall in Form des detailliert gravierten Untertitels »The Great Magician«. In einem anderen Fall hat »the British Bulldog«, als der Churchill bekannt war, eine metaphorische Wandlung der Art durchgemacht und ist in einer Illustration von Laurie als mit Rockschößen versehenes weißes Kaninchen zu sehen, das Churchills berühmtes Siegeszeichen macht, und zwar neben einem Zylinderhut mit den Fahnen der siegreichen alliierten Nationen. Diese fahnenkundliche Quelle des Patriotismus hat erkennbare Wurzeln in der ikonographischen Geschichte der Zauberei oder Magie; »Fahnenbündel« sind die funktionalen Requisiten bei der Illusionserzeugung, die auf Carl Hermann (1816-1887) zurückgeht und unter verschiedenen Namen bekannt ist: Emblems of all Nations, Congress of Flags und Greeting of the Nations. Hier erscheint ein Zauberer mit leeren Händen auf der Bühne und ist in wenigen Augenblicken umgeben von zahlreichen flatternden Seidenfahnen; sein Körper bildet den Mittelpunkt für die spontane Produktion und Choreographie von diversifizierter nationaler Selbständigkeit, alles begleitet aus dem Orchestergraben mit den jeweiligen Nationalhymnen.
Der deutsche Zaubererkünstler, der aufgrund seiner von Gerüchten umgebenen Verbindungen im Vorfeld des Dritten Reiches die größte Aufmerksamkeit der Kommentatoren auf sich gezogen hat, ist Erik Jan Hanussen (geborener Hermann Steinschneider, 1888-1933), der Gegenstand eines umfassenden Buches des Historikers Mel Gordon und von drei Filmen ist (Hanussen, O. W. Fischer und Gregor Marischka, 1955; Hanussen, István Szabó, 1988; Invincible, Werner Herzog, 2001). Es gibt aber noch einen anderen, weniger bekannten Zauberkünstler, dessen eindeutige Nähe zur Nazi-Macht vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg ihn zum potentiell wichtigsten und zweifellos am meisten problematisierten Kriegs-Zauberer im 20. Jahrhundert macht.
Die Geschichte von Kalanag (Bühnenname von Helmut Schreiber, 1903-1963) ist komplex. Sein Ruf (und seine Tricks) ist heute für die Mehrheit der Zauberkünstler-Gemeinschaft ziemlich angekratzt, und zwar als Ergebnis der erst spät in seiner Karriere erfolgten Bestätigung seines sympathetischen Verkehrs mit den ranghöchsten Mitgliedern der Nazi-Partei, darunter Hermann Göring, Joseph Goebbels und der Führer selber. Es hat jedenfalls den Anschein, dass Schreibers Leidenschaft für die Zauberkunst der feste Kern eines ansonsten opportunistischen Lebens war. 1936 wurde er als Präsident des deutschen Magier Zirkels eingesetzt (und in den folgenden Jahren leitete er dessen anti-semitische Säuberung), und zwischen 1927 und 1945 war er Herausgeber des deutschen Magier Magazins. Nach dem Krieg entwickelte er eines der größten und in der Tat letzten Illusionsschauspiele seiner Art im 20. Jahrhundert, die Kalanag-Revue (manchmal Sim Sala Bim genannte), die Schreiber und seine Frau Gloria De Vos von Ende der 40er Jahre bis zum Tod des Zauberers im Jahre 1963 weltweit aufführten.
Ein anderer wichtiger Brennpunkt von Schreibers Berufsleben war seine enge Verquickung mit der deutsche Filmproduktion. Vor dem Ausbruch des Krieges hatte er eine Stellung in der Tobis Filmgesellschaft, und 1942 wurde er in der kurz zuvor verstaatlichten deutschen Filmindustrie von Reichsminister Goebbels persönlich zum Produktionsleiter der Bavaria Filmkunst in München befördert und gleichzeitig in den Beraterstab der Reichsfilmakademie berufen. Dies brachte Schreiber, »den virtuellen Zar der Zauberkunst«, im damaligen Deutschland in den absoluten Mittelpunkt der Nazi-Filmproduktion während der Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs und in diesem selber. Ob die Fähigkeit des Zauberers, überzeugende Illusionen zu schaffen, dazu beigetragen hat, die etwa 150 Filme zu schaffen, die er in dieser Zeit produzierte, ist eine auf der Hand liegende Frage, deren Antwort allerdings weniger klar ist.
Die Fotographie erwies sich für Schreiber jedenfalls noch auf eine andere Weise als bedeutsam, denn sie bestätigt seine Anwesenheit als Zauberer vor Hitler persönlich. Auf einem besonders aufschlussreichen Bild schart sich ein ausgesuchtes Publikum um Schreiber, der vor dem sitzenden und entspannten Führer auftritt. Es wird ein Trick vorgeführt, und der vom Fotographen festgehaltene Moment ist die vorweg genommene Erwartung des Effekts, der allerdings für immer aufgeschoben ist. Die Blicke innerhalb der versammelten Gruppe sind interessant. Im Gegensatz zu den fetischisierenden Blicken, die normalerweise auf den Führer gerichtet sind und seinem totemistischen Körper transformieren, ist hier klar, dass einige im Publikum sich so hingestellt haben, dass an ihm vorbei sehen können. Wenigstens hier bleibt die operative Magie in Schreibers Händen, zu welcher transformativen Macht sie auch immer führen mag. Ein Detail bricht diese verschlossene Welt auf. Ein nicht identifizierter Mann in der oberen linken Ecke starrt direkt in die Kameralinse, und mit einem feinen Lächeln auf den Lippen erahnt er unseren Blick, so dass er uns in die narrative Logik des Bildes hineinzieht, anstatt sicher auf seiner Oberfläche zu bleiben.
Als Schreibers weitgehend nicht zur Kenntnis genommene Vergangenheit gegen Ende seiner Karriere in die Öffentlichkeit kam, mag er sich wohl danach gesehnt haben, über die Kräfte zu verfügen, die er auf einem Doppelfoto zu beherrschen scheint, das 1949 in den frühen Jahren seiner Nachkriegserfolge in der Badischen Illustrierten veröffentlicht wurde. Auf einem Bild, das ganz klar für die Zwecke der Zeitungsgeschichte arrangiert wurde, scheint er einen lästigen Fotographen »verschwinden« zu lassen, der versucht, sein Bühnengeheimnis auf den Film zu bannen. Im Rückblick wurde das Doppelbild jedenfalls zu einem fotographischen Vorzeichen, denn Schreibers Unfähigkeit, die Fotoabzüge verschwinden zu lassen, die seine Verbindung zum Dritten Reich bewiesen, sollte sich als für seinen Ruf als verhängnisvoll erweisen.
Bei einem persönlichen Besuch von Hitlers »Berghof« in den Bayrischen Alpen soll Schreiber den Führer in einen Zaubertrick einbezogen haben, indem er ihm 1.500 Mark in die Tasche zauberte, was diesen sehr überraschte.
Dieser Trick des »In-die-Tasche-zauberns« spielte auch eine Rolle bei einer verdeckten Propagandaaktion, die 1943 in der Abteilung für Politische Kriegführung unter der Leitung von Sefton Delmer entwickelt und von dem Fälscher Ellic Howe in den Räumen des BBC im Bush House in London ausgeführt wurde. Howe überwachte die Produktion von 5.000 Zigarettenpapierpäckchen der Marke Efka, in die ganz klein zusammengefaltete Blättchen aus Bibelpapier eingelegt wurden. Auf diese Blättchen war ein Text gedruckt, der erklärte, wie man eine Reihe von Krankheiten vortäuscht. Geheimagenten, die hinter den feindlichen Linien arbeiteten, steckten die Päckchen heimlich in die Taschen von Soldaten und Zivilisten, mit dem langfristigen Ziel, die deutschen Streitkräfte von innen zu schwächen. Indem diese Blättchen-Offensive manch einen mit Argumenten bei der Simulation von Krankheiten versorgte, verwandelte dieser Taschenspielertrick viele in hypochondrische Akteure, die ihren Vorgesetzten Hust- und Stöhnvorführungen boten, die ihnen vielleicht das Leben gerettet haben.
Im Jahre 1944 wurde das Buch The Art of Illusion des amerikanischen Zaubererkünstlers John Mulholland, das eine Art Anleitung zum Zaubern beinhaltete, von den Armed Service Editions im Miniaturformat neu aufgelegt, so dass es in den Hemdtaschen der US-Soldaten transportiert und zur Unterhaltung und Zerstreuung benutzt werden konnte. Die spielerische Geschicklichkeit beim Kartenspielen wurde schon lange als ein Werkzeug zur moralischen Stärkung der Soldaten verstanden, und Mulhollands Buch vervielfachte, neben anderen Tricks, die Möglichkeiten der Spielkarten. Während des Kalten Krieges wurde Mulhollands Patriotismus indessen noch komplexer. Sein zweiter schriftlicher Beitrag zu einem US-Krieg war ein unsigniertes internes Dokument für die CIA mit dem Titel Some Operational Uses fort he Art of Deception. Es war als Teil von MIKULTRA gedacht, dem berüchtigten Programm, das in den 50er Jahren erstellt worden war, um den taktischen Einsatz von Halluzinogenen zu erforschen, und zwar mit dem Ziel, die zu Tage getretene »mind control«-Lücke zu schließen, die sich zwischen den USA und ihren Widersachern im Kalten Krieg auftat.
»Das Ziel dieses Papiers«, schrieb Mulholland in seinem Dokument aus dem Jahre 1954, »besteht darin, den Leser dahingehend zu unterrichten, dass er es lernen kann, heimlich und unbemerkt eine Vielzahl von Aktionen auszuführen. Kurz gesagt, es handelt sich um Instruktionen zur Täuschung.« Um Agenten bei der verdeckten Verabreichung von Giftstoffen zu unterstützen, beschreibt das Dokument Tricks mit Pillen, Tricks mit aufgelösten Stoffen, Trick mit Flüssigkeiten und »Tricks, durch die insgeheim kleine Gegenstände angeeignet werden können«. In einem anderen Abschnitt werden abweichende und modifizierte Techniken speziell für den Gebrauch durch weibliche Agenten beschrieben. Anders gesagt, in diesem Dokument wurden Methoden beschrieben, um die Zauberkunst zum Töten zu benutzen. Die Umstände des Todes von Alexander Litvinenko im November 2006 infolge einer Polonium-Vergiftung in einem Londoner Bio-Restaurant deuten darauf hin, dass einige dieser Techniken noch immer nicht ihre Wirksamkeit verloren haben.
In einem Abschnitt mit dem Titel »Handling of Tablets« bestätigen zwei mephistotelische Selbstportraits Mulholland als Autor dieses Dokuments. Dem Historiker Michael Edwards zufolge, illustrieren die Zeichnungen einen Abschnitt, in dem der Zauberkünstler den möglichen Anwender darauf hinweist, dass er sich vor verräterischen Gesichtsbewegungen hüten müsse. »Eine psychologisch-physikalische Tatsache«, schreibt Mulholland, »die bei der Vorführung des genannten Trick in all seinen Variationen, aber auch bei allen anderen Tricks beachtet werden muss, da sie von großer Bedeutung ist. Es ist eine Tatsache, dass im Moment der Ausführung jeder Aktion, die konzentriertes Denken erfordert, eine Anspannung in der äußeren Erscheinung auftritt, die sehr leicht bemerkt werden kann. Eine plötzliche Anspannung auf der Seite des Ausführenden verursacht beim Zuschauer eine erhöhte Vorsicht.« Mulholland empfiehlt, eine »leicht dümmliche Miene« aufzusetzen, die Gesichtsmuskeln zu entspannen und beiseite zu schauen, um Interesselosigkeit vorzutäuschen.
Obwohl es nur eine Aufführungstechnik illustriert, könnte dieses unbeabsichtigte Selbstportrait auch im Kontext der langen Geschichte von Bildern gelesen werden, auf denen Künstler ihre eigenen Darbietungen nach Anzeichen von körperlicher oder moralischer Verworfenheit durchforschen. Mulhollands Ambivalenz, was seine Kooperation mit der CIA betrifft, zeigt sich jedoch deutlicher in seiner Unterscheidung der Titel seiner beiden Kriegs-Zauberer-Veröffentlichungen, zwischen der Kunst der Illusion und der Kunst der Täuschung. Illusion, mit ihrer lateinischen Wurzel ludere, spielen, suggeriert eine Zusammenarbeit im Gegenüber von Publikum und Zauberer, ein »beabsichtigtes Spiel mit dem geheimen Einverständnis zwischen dem Betrachter und dem Schauspiel«. Täuschung [deception] dagegen, die von decipere, reinlegen oder betrügen, kommt, suggeriert dem Willen, die Oberhand zu bekommen, einen eher trennenden Austausch und einen mit potentiell letalen Einsätzen.
Die Zauber-Ikonographie und die Paranoia des Kalten Krieges verbinden sich in der Popkultur derselben Zeit in der Gestalt von John Force oder »Magic Agent«, einem kurzlebigen Helden der Amercican Comic Group, der 1961 von Richard E. Hughes geschaffen wurde. Regierungsagent John Force hatte keine besondere Ausbildung, bis die Geister von Nostradamus, Merlin, Cagliostro und Houdini vor ihm erschienen, als er im besetzten Frankreich während des Zweiten Weltkriegs im Gefängnis saß. Das Geister-Quartett gibt ihm ein krypto-wissenschaftliches Gerät, das es ihm ermöglicht, Mächte der übersinnlichen Wahrnehmung aufzurufen und Telepathie, Hypnose und Illusion einzusetzen. Während er nun für die nebulöse »American Security Group« arbeitet, triumphiert John Force über mehrere, aufeinander folgende Feinde der USA, darunter auch Major Immelman vom Nazi-Geheimdienst, Dr. Petrov von der Slowenischen
Geheimpolizei und der Hindu-Rebell Mahatma Regor Varnath.
Verschwörungstheoretiker haben die Ikonographie der gegenwärtigen US-Dollarnote lange Zeit mit einer quasi-magischen Bedeutung versehen, da sie in ihren komplexen Illustrationen deutliche Anzeichen dafür sehen, dass die USA von den Freimaurer-Rosenkreuzer-Illuminaten-Eliten bis zu den Außerirdischen und sogar den Eulenkulten in alles mögliche verwickelt sind. John Forces Gerät, das einem großen münzen-ähnlichen Medaillon ähnelt, suggeriert eine klarere Verbindung zwischen staatlicher Macht, Kapitalökonomie und der vom Zauberer geleiteter Anwendung. Die Oberseite zeigt ein Basrelief mit einer klassischen Viersäulenfassade, die dem Capitol in Washington nachgebildet ist, über der die geisterhaften Diener von »Magic Agent« zu sehen sind, wie sie über dem Cover der Erstausgabe des Comics schweben. Wenn einzeln auf sie gedrückt wird, verleihen die Säulen John Force seine Kräfte. Kapital verschmilzt somit mit dem Capitol, um im Dienst des amerikanischen politischen Idealismus und territorialer Ambitionen operative Zauberei zu erzeugen. Wenn John Force von seinem Gerät getrennt wird, wird er machtlos, lethargisch und leicht manipulierbar.
Das Schweben der Geister über den Seiten von »Magic Agent« deutet auf ein Kontinuum der Gerissenheit hin, das bis zur Meditation über die Schlachtfeldstrategie in Sun Tzes Kunst des Krieges aus dem vierten Jahrhundert vor Christus zurückgeht, und zwar über Niccolo Machiavellis (1469-1527) Reflexion über List und politische Macht im Renaissancei-Italien in Il Principe und Barton Whaleys zeitgenössische Taxonomien der Täuschung. Auch Johne Forces Schöpfer Robert Hughes beschreibt unbeabsichtigt die technologischen Vorläufer und künftigen Verkörperungen seines Helden. In einer Geschichte, die an Jasper Maskelynes Panzer-Attrappen-Kampagne in Nordafrika erinnert, drückt der mit einer Augenklappe versehene Agent im ewigen Regenmantel auf »die Säule der Illusion«, um ein bewaffnetes Phantombataillon zu bannen, das sich während einer Wüstenschlacht zum Entsetzen konventioneller Rebellenstreitkräfte ständig materialisiert und entmaterialisiert. Woanders lässt ihn »die Säule der übersinnlichen Wahrnehmung« durch feste Oberflächen sehen – 1962 der Stoff von Kinderfantasien, aber heute ein Gemeinplatz auf dem modernen Schlachtfeld in Form von Fahrzeugen, die mit Thermo-Detektoren ausgerüstet sind, wie etwa der zu recht so genannte Magic Warrior / Nightstalker Humvee.
Machiavellis Rat, dass ein Führer niemals versuchen sollte, durch Gewalt zu gewinnen. was er durch »Täuschung gewinnen« könnte, wurde mit großem Erfolg von Fidel Castro befolgt, als er die Lügen der US-Propaganda durch die schlichte Verwendung von abgerichteten Lachtauben während seiner ersten vom Fernsehen übertragenen Rede an kubanische Nation im Januar 1959 widerlegte. Die Tauben, die auf Castros Körper landeten und dort während der ganzen Rede sitzen blieben, fanden einen symbolischen Ruheplatz in den gleichzeitigen Kodifizierungen des Katholizismus (der Heilige Geist) und der Santeria (Obatalá –eine Schöpfungsgottheit), da sie unmittelbare und ehrfürchtige Reaktionen in der versammelten Menge auslösten. Diese anscheinend göttliche Bestätigung der Legitimität von Castros Herrschaft soll mehrere Wochen sorgfältigen Flugtrainings erfordert haben, bei dem eine uniformierte und bärtige Ersatzfigur an Stelle des Führers selber benutzt wurde. Ein weiterer Akt von politisiertem Gegen-Zauber, und einer, der trotz seines scheinbaren Scheiterns eine große Mobilisierungskraft hatte, wurde von Abbie Hoffman inszeniert, dem Aktivisten und Mitbegründer der Youth International Party, der im Oktober 1967 etwa 35.000 Anti-Krigs-Demonstranten in Washington versammelte und versuchte, allein durch psychische Kräfte das Pentagon anzuheben. Wenn das Gebäude einmal angehoben war, sollte es geschüttelt werden, um die kriegstreiberischen bösen Geister zu exorzieren.
Kaum drei Jahre später testete ein junger Republikaner namens Karl Rove Techniken, die ihm später im Weißen Haus von G. W. Bush den Beinamen »the Magician« einbringen sollte. Indem er eine falsche Identität benutzte, stahl Rove Tausende von Briefbögen aus dem Wahlkampfbüro des Demokraten Alan J. Dixon, die er später benutzte, um einen Flyer folgenden Inhalts zu schaffen: »Freibier, freies Essen, Mädchen und eine gute Zeit für umsonst.« Diese verteilte er bei Rockkonzerten und in Obdachlosenheimen in dem letztlich erfolglosen Versuch, Dixons Wahl zu verhindern. Rove tat seine Aktion 1999 als »Jugendstreich« ab, obwohl man in diesem Akt der Simulation-Erfindung und später in seiner Verharmlosung des Ereignisses (Dissimulation-anders verpacken) einen deutlich Whaleyschen Regierungsstil erkennen kann, der seitdem bei vielen Gelegenheiten die Fantasien der Wählerschaft angesprochen und mobilisiert hat, und zwar durch Techniken, die Steven Duncombe kürzlich als undurchschaubares oder »täuschendes« Spektakel definiert hat.
Wenn Karl Rove einmal die Wahrnehmungen einer post-Baudrillardschen, medienübersättigten und realitätsfernen Wählerschaft in die Irre geführt hat, dann ist er dadurch für eine Ära des permanenten Krieges zum Kriegs-Zauberer geworden, zum einer John Force-artigen Präsenz mit allen Ressourcen der amerikanischen ökonomischen und militärischen transformativen Macht, die auf ihre Chance wartet. Und als ein verdeckter Kriegs-Zauberer nicht genügte, um den neokonservativen Idealismus voran zu bringen, wurde G. W. Bush selber zu seiner sichtbaren Verkörperung, als er im Jahre 2004 in New York die Bühne seines Parteitages mit Las Vegas-artigem Elan betrat. Als zwei riesige Videobildschirme auf Rädern und mit wehenden amerikanischen Fahnen sich auf der Bühne trafen, materialisierte sich plötzlich ein lächelnder und von Scheinwerfern beleuchteter Präsident. Das war, als ob Carl Hermanns Fahnen-Illusion, das Emblem aller Nationen, erwachsen geworden wäre, allerdings nicht zur Feier verschiedener unabhängiger Nationalitäten, sondern eher als sich selbst beglückwünschender, verbohrter Unilateralismus.
Aus dem Englischen von Ronald Voullié.